Ähnlich wie im vergangenen Jahr "Born for this" über den Weg der Frauennationalmannschaft zur Europameisterschaft in England oder verschiedene "Inside"-Dokus, etwa über Borussia Dortmund oder Bayern München, bieten die jeweils knapp dreißig Minuten langen Episoden dieser Doku-Reihe überaus informative Blicke hinter die Kulissen.
Am spannendsten sind die heute gezeigten Folgen vier und fünf, die sich jeweils auf eine Partie und die Zusammenarbeit des Schiedsrichtergespanns konzentrieren, inklusive des im Fußballvolksmund despektierlich "Kölner Keller" genannten Video Assist Center. Natürlich sollen gerade diese beiden Episoden auch für Verständnis werben. Seit der "Video Assistant Referee" (VAR) 2017 in der ersten Liga eingeführt wurde, sorgt er an jedem Spieltag für Diskussionen.
Für die Medien ist das regelmäßig ein gefundenes Fressen: Was letzte Woche noch ein Handspiel war, wird am nächsten Samstag durchgewunken. Absurder sind freilich jene Momente, in denen einem Schiedsrichter ein klares strafstoßwürdiges Foul entgeht und der Kölner Keller nicht eingreift. Der bedauernswerte Sascha Stegemann war davon in der letzten Saison gleich zweimal betroffen, beide Male war der BVB beteiligt.
Autor:inTilmann P. GangloffTilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Jochen Drees, Leiter des VAR-Projekts, erläutert anschaulich, warum selbst dem Videoassistenten entging, was in der Zeitlupenwiederholung während der Live-Übertragung so offenkundig erschien: Weil die vier Standardperspektiven kein Foul erkennen ließen und im "Kölner Keller" niemand auf eine fünfte schaute.
Da sich der DFB vermutlich ein Mitspracherecht ausbedungen hat, ist die unkommentierte Reihe nicht zuletzt eine Verbeugung vor den Männern (und der einen Frau) mit der Pfeife. Die beiden ausführlich dokumentierten Partien sind beispielhaft für das perfekte Zusammenspiel innerhalb des Gespanns.
Immerhin werden die Pannen nicht ausgespart. Stegemann und sein VAR Robert Hartmann kriechen gerade wegen des nicht gepfiffenen Fouls am Dortmunder Adeyemi im Auswärtsspiel beim VfL Bochum zu Kreuze, aber dann retten Sven Jablonski und Daniel Siebler die Ehre der Zunft: Der eine beim Hamburger Zweitligaderby, der andere beim Pokalfinale.
Davon abgesehen ist es ohnehin außerordentlich interessant, eine Partie ausschließlich aus der Perspektive des Unparteiischen-Gespanns zu verfolgen, zumal auf diese Weise deutlich wird, dass eine gute Spielleitung stets das Ergebnis vorzüglicher Teamarbeit ist.
Dass der Job kein Zuckerschlecken ist, wird ebenfalls deutlich. Die auch optisch abwechslungsreich gestaltete und entsprechend kurzweilige Reihe beginnt mit dem durchaus anspruchsvollen Leistungstest, dem sich die 24 Erstliga-Referees vor dem Saisonstart unterziehen müssen; immerhin beginnt ihre Karriere zumeist in einem Alter, in dem die Profis ihre Laufbahn beenden. Die Dialoge mit den Spielern erwecken zudem den Eindruck, als hätten es die Schiris mit einem Haufen schwer erziehbarer Jugendlicher zu tun. Auch in dieser Hinsicht ist die Reihe sehr aufschlussreich, weil sie ganz unterschiedliche Philosophien vorstellt: Die einen setzen auf natürliche Autorität, die anderen sorgen mit einem lockeren Spruch für Deeskalation.
Eine besondere Rolle spielen naturgemäß die Trainer, denen Lutz Michael Fröhlich, Sportlicher Leiter der Elite-Schiedsrichter, "ein bisschen zu viel Gottgehabe" vorwirft. Deniz Aytekin, den Häussler vor drei Jahren schon einmal für eine ganz ähnlich konzipierte Reportage begleiten durfte, rechtfertigte eine Rote Karte für den Mainzer Coach Bo Svensson im TV-Interview mit den Worten, die Mitglieder seiner Zunft seien "nicht die Mülleimer der Nation": Robert Schröder stand nach einem Spiel, bei dem sich die Schalker Fans verschaukelt fühlten, auf einer Twitter-Todesliste; Stegemann bekam nach dem BVB-Spiel Polizeischutz und schildert sichtlich bewegt, wie seine Kinder reagierten, als abends Beamte in Uniform vor der Tür standen.
Tatsächlich sind die Schiris auch nur Menschen, und Menschen machen nun mal Fehler; diese Erkenntnis war womöglich das Hauptanliegen des DFB. Deshalb zeigt Häussler die Männer auch von ganz anderen Seiten. Natürlich ist es ausgesprochen sympathisch, wenn Aytekin mitten im Spiel frustriert feststellt, Jamal Musiala nehme ihm auf hundert Metern siebzig ab und das mit Ball, aber entscheidend für die Qualität der Reihe ist ihr "Fly on the Wall"-Charakter, wie das im Dokumentar-Genre heißt: Gerade die Nachbesprechungen der Schiri-Gespanne wirken tatsächlich, als hätten die Beteiligten die Anwesenheit der Kamera vergessen. Davon träumen alle, die solche Produktionen machen. Sämtliche Folgen stehen bereits in der ARD-Mediathek.