Es wird verschiedentlich erwogen, die AfD verbieten zu lassen. Die Partei ist in Teilen eine rechtsextreme Partei, die sich in den letzten Jahren zunehmend radikalisiert hat; das Bundesamt für Verfassungsschutz führt sie sogar insgesamt als "Verdachtsfall" auf Rechtsextremismus. Laut dem ARD-Deutschlandtrend ist sie aber im Augenblick die zweitbeliebteste Partei Deutschlands und erhält mehr Zustimmung als die SPD.
Klarer auf den kirchlichen Glauben zugeschnitten ist dagegen der Vorschlag, die Kirchen sollten AfD-Mitglieder von bestimmten kirchlichen Ämtern ausschließen. Solch einen Vorschlag hat die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken für ihre Kirche gemacht. Die Kirchen wollen klare Kante gegen Rechts zeigen, und deshalb sollten sie AfD-Mitgliedern nicht Ehren- oder Laienämter als Bühne bereitstellen, auf der sie sich als respektabel inszenieren und direkt oder indirekt für die Partei werben könnten. Unter den knapp 30.000 AfD Mitgliedern könnte es einige geben, die in einer evangelischen Kirche ein Ehrenamt bekleiden. In einer zentralen Kirche Berlins war etwa ein Mitglied des Gemeinderats AfD-Mitglied, bevor er vor ein paar Jahren die Partei verlassen hat. Sollen die Kirchen AfD-lern das Ehrenamt verweigern, damit der Extremismus nicht in der öffentlichen Wahrnehmung normalisiert wird?
Weshalb manche AfD-ler bestimmten Kirchen nahestehen
AfD-Mitglieder fühlen sich teilweise traditionellen kirchlichen Positionen verbunden. AfD-ler geben vermeintlich christliche Motive für ihre drastische Ablehnung des Islam an, und in ihrer Bejahung des traditionellen Familienbildes sehen sie sich ebenfalls von konservativen kirchlichen Traditionen bestärkt: die Ablehnung der Homosexualität, das Leitbild der heterosexuellen Familie mit Kindern und die Verunglimpfung von LGBTQ+-Personen. Außerdem setzen sich viele AfD-ler gegen Abtreibungen ein, was sie besonders mit katholischen und evangelikalen Christen verbindet.
Alexander Maßmann wurde im Bereich evangelische Ethik und Dogmatik an der Universität Heidelberg promoviert. Seine Doktorarbeit wurde mit dem Lautenschlaeger Award for Theological Promise ausgezeichnet. Publikationen in den Bereichen theologische Ethik (zum Beispiel Bioethik) und Theologie und Naturwissenschaften, Lehre an den Universitäten Heidelberg und Cambridge (GB).
So gibt es auch eine Gruppierung "Christen in der AfD". Sie gibt an, etwa 300 AfD-Mitglieder zu vereinen. Im Bundesvorstand ist nur eine kleine Minderheit in einer evangelischen Landeskirche; die meisten sind Katholiken oder zählen sich zu einer Freikirche. Die Gruppe schätzt, dass zwei Drittel ihrer Mitglieder einer evangelischen Kirche angehören.
Weshalb die AfD theologisch abzulehnen ist
Gegen die AfD in der Kirche spricht natürlich schon, dass vielen Christen der Nationalismus ein Dorn im Auge ist und sie Demokratie, Freiheit und Pluralismus wertschätzen. Nach den Grauen der Nazi-Herrschaft bedeuteten diese Errungenschaften eine Befreiung aus der Barbarei (vom "Ehrenvorsitzenden" der AfD, Alexander Gauland, als ein bloßer "Fliegenschiss" verharmlost). Nationalismus und Rassismus sind Sünde, weil man damit andere Menschen herabsetzt, die eigene Nation irrtümlich für höherwertig erklärt, Feindschaft sät und Gewalt schürt.
Laut dem nizänischen Glaubensbekenntnis ist Gottes Sohn "für uns Menschen und zu unserem Heil" Mensch geworden – ohne Hervorhebung irgendeines Volkes. Abgesehen vom Volk Israel sind "Volk" und "Nation" keine theologischen Begriffe. Übrigens war Jesus ja selbst ein Flüchtling. Vor allem sind sein Kreuz und seine Auferweckung entscheidend für die Rechtfertigung des Menschen vor Gott. Gottes Recht kommt allen Menschen zugute, und alle sind gleichermaßen darauf angewiesen. Wenn AfD-ler zum Beispiel queere Menschen in der Kirche ablehnen, ist auch das eine Werkgerechtigkeit, die sich von Gottes freier Gnade abwendet und Menschen nötigt, sich zu verleugnen und zu verbiegen, um sich Gottes Gnade zu erarbeiten.
Kann man überhaupt Kirchen- und AfD-Mitglied zugleich sein?
Sollte die evangelische Kirche also die Mitgliedschaft in der AfD für unverträglich mit dem kirchlichen Ehrenamt erklären? Man kann Kirchenmitgliedern nicht einfach das Ehrenamt verwehren und es dann dabei belassen. Die allgemeine Möglichkeit, ein kirchliches Amt bekleiden zu können, ist in der evangelischen Kirche untrennbar mit der Kirchenmitgliedschaft verbunden. Beides gibt es nur im Doppelpack.
Es gibt zum Beispiel in der evangelischen Kirche keine Ämter, von denen Frauen trotz Kirchenmitgliedschaft ausgeschlossen wären. Man muss sich auch nicht durch eine heilige Lebensführung (Zölibat etc.) vom kirchlichen "Fußvolk" abheben. Hier ist das typisch Evangelische, dass die Rechtfertigung aus Glauben das einzige entscheidende Merkmal aller Christinnen und Christen ist. Maßgeblich ist allein Gottes Gnade ohne menschliche Werke. Wenn eine Person an Christus glaubt, stehen ihr alle Ämter in der Kirche offen, egal, ob sie diese oder jene menschliche Eigenschaft aufweist oder nicht. Wer "aus der Taufe gekrochen" kommt, ist im Grunde allen Mönchen, Nonnen, Bischöfen und Päpsten ebenbürtig, wie Luther treffend sagte.
Wenn man nun der Meinung ist, die Kirche dürfe die AfD-Mitgliedschaft im Ehrenamt nicht dulden, dann fragt es sich, ob man diese Bedingung nicht auch dem Christsein selbst zugrunde legen muss: Kann man überhaupt Kirchenmitglied und AfD-Mitglied zugleich sein? Rassismus und Intoleranz widersprechen dem christlichen Glauben zutiefst! Ist heute also die Mitgliedschaft in einer weitgehend extremistischen Vereinigung so entscheidend, dass der Glaube an Christus auch die AfD-Mitgliedschaft ausschließt? Man kann die Frage nicht auf das Ehrenamt beschränken. Verhalten sich der Glaube an Christus und die AfD-Mitgliedschaft zueinander wie Feuer und Wasser?
Der Bekenntnisfall
Verschiedentlich haben evangelische Christen in Deutschland die Ansicht vertreten, dass bestimmte Handlungsweisen mit dem Christsein selbst nicht vereinbar sind. Die Ansicht lautete, hier gehe es nicht um moralische Ermessensfragen, sondern es stehe auf dem Spiel, ob die Kirche überhaupt noch Kirche ist. In den 1950ern meinten viele Protestanten, als Christ könne man sich gar nicht für Atomwaffen aussprechen. Das Risiko in Kauf zu nehmen, dass Atomwaffen das menschliche Leben in Gottes Schöpfung auslöschen, heiße, mit der Schöpfung zugleich den Schöpfer selbst abzulehnen. Diese Debatte wiederholte sich anlässlich des NATO-Doppelbeschlusses 1982.
In den 70ern bekräftigte der Lutherische Weltbund, dass man nicht Christ sein und zugleich die "Rassentrennung" in Südafrika akzeptieren könne. Gottes Gnade komme Schwarzen genauso zugute wie Weißen; das zu bestreiten heiße, den gnädigen Gott selbst abzulehnen. Reformierte Kirchen machten sich diese Position ebenfalls zu eigen und brachen die Beziehungen zu weißen Apartheid-Kirchen ab. Sollte die Fremdenfeindlichkeit der AfD darin dem Rassismus der Apartheid entsprechen, dass beides nicht mit dem Christsein vereinbar ist?
Die Ansicht, dass eine bestimmte Handlungsweise dem Christsein selbst widerspricht und einfach nicht geduldet werden darf, bezeichnet die Theologie als den Bekenntnisfall. Es geht dabei aber nie bloß um ein bestimmtes Handeln, sondern immer auch um die christliche Lehre selbst – etwa um die Lehre vom Schöpfer oder von Gottes Gnade.
Der Arierparagraph
Zum "Bekenntnisfall" kam es aber vor allem 1933, als man den "Arierparagraphen" in der Kirche einführte. Damit schlossen evangelische Kirchen in Deutschland Christen jüdischer Abstammung vom Pfarramt aus. Dietrich Bonhoeffer dagegen richtete sich scharf gegen den Arierparagraphen, denn mit ihm kam es in der Kirche nicht mehr entscheidend auf Gott an, sondern auf den Menschen und seinen Familienstammbaum. Dagegen ist es ja Kennzeichen der evangelischen Kirche, dass außer dem Glauben an Christus kein Merkmal grundlegende Bedeutung hat. Das "arische Blut" ist kein Merkmal, das die geistliche Würde der Person erhöhe.
Mit dem Arierparagraphen ersetzte also ein gesetzliches Verständnis menschlicher Herkunft das Evangelium von Gottes freier Gnade. Dagegen meinte Bonhoeffer: Nur da, wo Judenchristen und Christen nicht-jüdischer Abstammung "zusammen unter dem Wort stehen, ist Kirche, hier bewa?hrt es sich, ob Kirche noch Kirche ist oder nicht". Bonhoeffer meinte also, dass er mit entschiedenen Nationalsozialisten nicht Mitglied derselben Kirche sein könne. Wer Judenchristen ausschließt, den muss man seinerseits ausschließen – keine Toleranz der Intoleranz.
Machen AfD-Mitglieder denselben Fehler wie die rassistischen Christen 1933, wenn sie meinen, sich auch in der Kirche zu der Fremdenfeindschaft und dem Extremismus ihrer Partei bekennen zu können? Muss man AfD-ler ausschließen?
Gottes Gnade für Deutsche, Flüchtlinge und LGBTQ+
Meiner Meinung nach liegt der Bekenntnisfall bei der Frage von AfD-Mitgliedern in der Kirche heute nicht vor. Christen sollten zwar mit der AfD nichts zu schaffen haben. Aber pauschal "exkommunizieren" kann man AfD-ler nicht. Zwar hatte damals Bonhoeffer Recht, als er bestritt, dass eine Kirche noch Kirche sei, wenn sie Judenchristen ausschließt. Doch dass heute der Bekenntnisfall nicht vorliegt, kann man auch mit Bonhoeffer begründen.
Bonhoeffer betonte noch im Eifer des Gefechts, in einem Aufsatz von 1936, dass eine Kirche sich sehr hüten muss, vorschnell Menschen auszugrenzen. Die wahre Kirche soll sich von der falschen Kirche erst abgrenzen, wenn die falsche Kirche diesen Schritt unabweisbar macht. Als die Kirche den Arierparagraphen einführte, rückte man menschliche Leistungen und Eigenschaften an die Stelle von Gottes freier Gnade und wurde gesetzlich. Doch wenn man die Abgrenzung zu früh und voreilig vornimmt, dann droht dieselbe Gefahr!
Entscheidend für die wahre Kirche muss laut Bonhoeffer stets der positive Hinweis auf Gott selbst sein. Gott selbst bestimmt, wer zur Kirche gehört. Auch heute macht seine freie Gnade Menschen zu wahren Christen – ob nun Biodeutsche, iranische Flüchtlinge oder Transpersonen. Wer zur Kirche gehört, entscheidet keine Kirchenleitung, kein politisches Grüppchen und noch nicht einmal die Mehrheit der Christen. Genauso wenig entscheiden Menschen mit ihren Frömmigkeitsleistungen, ob sie in Gottes Gunst stehen. Auch bloß menschliche Merkmale wie die weiße Hautfarbe oder Heterosexualität entscheiden nicht, ob ich ein brauchbarer Christ bin. Bonhoeffer warnt, dass wir uns unter regulären Umständen überhaupt nicht mit der Frage beschäftigen sollen, ob nun diese oder jene doch nicht dazugehören – das ist Gottes eigene Aufgabe –, sondern uns auf das Evangelium konzentrieren.
Bonhoeffer selbst musste sich 1933 allerdings notgedrungen mit dieser Frage beschäftigen. Sie wurde ihm durch den Arierparagraphen aufgenötigt. Und tatsächlich konnten sich die deutschen evangelischen Kirchen mehrheitlich nur zu gut mit dem verbrecherischen Regime arrangieren. In dieser Situation sind wir aber heute nicht.
Noch können wir Christinnen und Christen immer wieder deutlich machen, weshalb wir aufgrund des Evangeliums an Demokratie, Toleranz und Anti-Rassismus festhalten – und ja, auch an der Achtung für Flüchtlinge, Schwule und Transpersonen. Schließen wir dagegen AfD-Mitglieder aus, wird nicht nur die AfD mit dem Zerrbild eines "links-grün versifften Protestantismus" parieren. Wir könnten uns damit sogar über die freie Gnade täuschen, in der Gott allein über wahre Christen entscheidet – und gerade ihretwegen ist die Kritik an der AfD ja nötig.