Die Vampire tanzen. Ein Privatdetektiv ermittelt in einem Skandal um Bodenspekulation. Im Warschauer Ghetto treiben Nazis den Massenmord an den Juden mit ungeahnter Brutalität voran. Es sind sehr unterschiedliche Themen, mit denen der Oscar-Preisträger, Schauspieler und Regisseur Roman Polanski 60 Jahre Kino geprägt hat.
Er schuf Filme wie "Chinatown", "Rosemary''s Baby" und "Der Pianist" über den polnischen Musiker W?adys?aw Szpilman im Ghetto. Er ist aber auch umstritten wie wenige andere: 1978 war er aus den USA geflohen, dort droht ihm ein Prozess wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung einer Minderjährigen. Die Oscar-Akademie schloss ihn 2018 aus. In den vergangenen Jahren kamen neue Missbrauchsvorwürfe hinzu.
Am 18. August wird Roman Polanski 90 Jahre alt. Er ist ein Überlebender des Holocaust. Als Raymond Liebling wurde der Sohn jüdischer Eltern 1933 in Paris geboren, 1937 kehrten die Eltern in die polnische Heimat zurück. Sein Vater Moj?esz Liebling überlebte das KZ Mauthausen. Die Mutter Bula Katz-Przedborska war schwanger, als sie 1943 in Auschwitz ermordet wurde. Im selben Jahr gelang dem zehnjährigen Roman die Flucht aus dem Krakauer Ghetto, er fand bei einer polnischen Familie Unterschlupf.
Nach dem Studium in Krakau, wo er sich lange Zeit als katholischer Pole ausgab, wurde gleich das Debüt des 29-Jährigen für den Oscar nominiert. Mit dem klaustrophobischen Kammerspiel "Das Messer im Wasser" grenzte der junge Cineast sich bewusst vom Bildersturm der Nouvelle Vague ab und legte den Grundstein für seine internationale Karriere.
Sein erster britischer Film kam einer Wachablösung gleich: Nach dem bitteren Misserfolg für Alfred Hitchcock, dessen Psychothriller "Marnie" an der Unterkomplexität seiner weiblichen Hauptfigur scheiterte, zeichnete Polanski ein Jahr später das Porträt einer labilen Frau, die wie Hitchcocks Heldin von Männern traumatisiert ist, mit mehr Tiefenschärfe: Mit "Ekel" begann Catherine Deneuves Laufbahn. Polanski ebnete der Film den Weg nach Hollywood.
Auf die bäuerlich-groteske Gruselkomödie "Tanz der Vampire", Polanskis erstem Karriere-Höhepunkt, folgte ein beunruhigender Horrorthriller: Mit der Halluzination einer Frau, die offenbar vom Leibhaftigen missbraucht wird, verstörte und faszinierte "Rosemary’s Baby" das Publikum gleichermaßen.
Schock nach Mord an seiner Frau durch Manson-Anhänger
Bald nach dem Kinostart im August 1969 wurde seine hochschwangere Frau Sharon Tate, Hauptdarstellerin in "Tanz der Vampire", nebst vier weiteren Menschen von Anhängern des Sektenführers Charles Manson bestialisch ermordet. Der Schock saß tief. Fünf Jahre später erst gelang dem Regisseur mit "Chinatown" ein weiterer Erfolg. In diesem Film noir verschränkte er das Thema der Korruption in einem städtischen Verwaltungswesen mit der Thematik Inzest und Missbrauch.
1978 zog er nach Frankreich um und gilt in den USA, wo ihm ein Prozess wegen Vergewaltigung droht, seitdem als Justizflüchtling. Er hatte sich wegen "unerlaubtem Sex mit einer Minderjährigen" schuldig bekannt, das 13-jährige Opfer war unter Drogen gesetzt worden. Zwei weitere Frauen erheben Missbrauchsvorwürfe gegen ihn, zuletzt eine französische Fotografin, die erklärte, Polanski habe sie 1975 vergewaltigt. Polanski weist diese Vorwürfe zurück.
Später jüdisches Vermächtnis aufgearbeitet
An den Erfolg seiner Hollywood-Phase konnte der Regisseur, der seit 1989 mit der Schauspielerin Emmanuelle Seigner verheiratet ist, fortan nicht mehr anknüpfen. Hatte er bislang Genre-Konventionen parodistisch überzeichnet, so verzichtete er auf surreale Gestaltungselemente. Sozialkritische Historienfilme wie "Tess" und "Oliver Twist" wurden von der Kritik gelobt.
Mit seinen späten Filmen arbeitet Polanski verstärkt sein jüdisches Vermächtnis auf. "Der Pianist" zählt zu den eindringlichsten Spielfilmen über den Holocaust. Seine bislang letzte Regiearbeit, das Historiendrama "Intrige" über die Dreyfus-Affäre, führt vor Augen, wie tief Antisemitismus im Europa am Wendepunkt zum 20. Jahrhundert verwurzelt ist.
Polanskis Filme bereichern das Kino und sind vielfach preisgekrönt. Die Auseinandersetzung mit seinem Werk aber wird von der Debatte um seine Person überschattet. Wenn er öffentlich auftritt, wenn seine Filme auf Festivals aufgeführt werden, kommt es oft zu Protesten. Als sein Film "Intrige" 2020 für den französischen Filmpreis "César" nominiert wurde, trat das Präsidium der César-Akademie zurück.
"Nicht nur in der Filmgeschichte begegnen wir der Diskrepanz zwischen Künstler und Werk", sagte der Filmwissenschaftler Marcus Stiglegger. "Es ist als ethische Herausforderung zu verstehen, dass sich beides nicht deckt, auch wenn es sich kaum trennen lässt. Künstler und Werk stehen in einem Spannungsfeld. So ist Polanski ein traumatisierter Überlebender des Holocaust und Witwer, aber zugleich ein - so belegt unter anderem seine Autobiografie - eingestandener Täter. Seine Filme spiegeln all dies und vieles mehr." Und der Experte ergänzt: "Relativiert dieses Dilemma den Wert und die Intensität seiner großen Filme von ‚Das Messer im Wasser’ bis ‚Der Pianist’? Filmhistorisch keineswegs. Alles andere ist eine individuelle Entscheidung."