Foto: epd-bild/Walter G. Allgöwer
Armut ist gerade in amerikanischen Großstädten ein sichtbares Problem - die unsichtbare Armut derer, die am Existenzminimum leben, kommt noch dazu. Im Wahlkampf ist das Thema aber unbeliebt.
Kirchen kritisieren: Armut im US-Wahlkampf kein Thema
Am Dienstagabend treffen Barack Obama und Mitt Romney in ihrem zweiten TV-Duell aufeinander. Im Wahlkampf ist Armut kein großes Thema, obwohl 15 Prozent der US-Bürger unterhalb der Armutsgrenze leben. Stattdessen geht es um das Wohlergehen der Mittelschicht, denn mit einer Diskussion über Armut gewinnt man offenbar keine Wählerstimmen. Die Kirchen protestieren und wollen das Thema Armut mehr auf der Agenda sehen.
16.10.2012
epd
Konrad Ege

Eigentlich muss Präsident Barack Obama nur vor die Haustür treten, um der Armut zu begegnen. Etwa ein Drittel der 100.000 Kinder und Teenager in der Hauptstadt Washington wachsen in Haushalten mit Einkommen unterhalb der Armutsgrenze auf. Im Präsidentschaftswahlkampf 2012 spielt das Thema bisher allerdings kaum eine Rolle. Das ruft jetzt die Kirchen auf den Plan.

Die beiden US-Präsidentschaftskandidaten - Amtsinhaber Obama und der Republikaner Mitt Romney, sprächen so gut wie gar nie über das Problem Armut, beklagen kirchliche Verbände. Wahlberater hätten den Präsidenten und seinen Herausforderer offenbar überzeugt, dass Armut kein gewinnbringendes Thema im Wahlkampf sei, sagte der Vizepräsident des Nationalen Verbandes der Evangelikalen, Galen Carey.

Besonders Minderheiten sind betroffen

Dabei sind in den USA nach Regierungsangaben 46 Millionen Menschen arm, also 15 Prozent der Bevölkerung. Kinder sind die Hauptleidtragenden wirtschaftlicher Not. 22 Prozent der unter 19-Jährigen in den USA oder 16 Millionen lebten in Armut - ein "moralischer Skandal" in der reichen Nation, befand jüngst die Leiterin der Hilfsorganisation "Children's Defense Fund", Marian Wright Edelman.

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Als arm gilt in Regierungsstatistiken ein vierköpfiger Haushalt mit einem Jahreseinkommen von unter 23.021 Dollar. Besonders an Armut leiden nach offiziellen Angaben Afroamerikaner (27,6 Prozent) und Latinos (25,3 Prozent). Zudem sind 12,8 Prozent der weißen Bevölkerung arm. Dass die Armutsrate bei Minderheiten so hoch sei, gelte als ein Grund für das politische Schweigen zur Armut, sagte der Direktor der christlichen Hilfsorganisation "Bread for the Word" ("Brot für die Welt"), David Beckmann, dem epd.

Auch Beckmann, ein lutherischer Pastor und Wirtschaftsexperte, spricht von einem "Skandal". So sei es ein Skandal, dass kein Präsident seit dem Demokraten Lyndon Johnson in den 60er Jahren den Kampf gegen Armut zur nationalen Priorität erhoben habe. Freilich sei es schwierig, in den USA Wähler mit dem Thema Armut zu mobilisieren, räumte Beckmann ein. Die meisten US-Amerikaner fühlten sich als Angehörige der Mittelklasse. Die Armen, das seien daher "die anderen". Wem es wirtschaftlich schlechtgehe, der stufe das selbst als zeitweiligen Ausrutscher ein.

Der interreligiöse Verband "Circle of Protection" (Schutzkreis) hat Obama und Romney um Statements zur Armut gebeten. Die dreiminütigen Antwortvideos stehen nun im Netz. Präsident Obama sagte, sein christlicher Glaube lehre, dass jeder "seines Bruders und seiner Schwester Hüter" sei. Man dürfe das Haushaltsdefizit nicht auf Kosten der Verwundbarsten reduzieren. Romney betonte, Wirtschaftswachstum sei das beste Mittel gegen Armut. Er wolle jedoch die ärmsten Bürger schützen.

Ohne Regierungshilfe geht es nicht

Beckmann von "Bread for the World" erklärte, in Obamas ersten beiden Amtsjahren habe die Regierung das soziale Sicherheitsnetz gestärkt. Im dritten und vierten Amtsjahr hätten sich Obama und die Demokraten den republikanischen Forderungen nach Kürzungen widersetzt. Fortschritte seien jedoch keine gemacht worden. Die von Kritikern der Regierungsprogramme vorgebrachten Thesen, karitative Hilfe könne doch Regierungsprogramme ersetzten, seien nicht haltbar, sagt Beckmann.

Der Pastor und Wirtschaftsexperte rechnet vor: In den USA gebe es rund 350.000 Kirchengemeinden. Wollten die Gemeinden nur die Lebensmittelhilfsprogramme ersetzen, die der Haushaltsentwurf des republikanischen Vizepräsidentschaftskandidaten Paul Ryan streichen wolle, müsste jede Gemeinde pro Jahr 50.000 Dollar aufbringen.

Der römisch-katholische Kardinal von New York, Timothy Dolan, prangert die außerordentlichen Einkommensunterschiede in den USA an. So liege beispielsweise im New Yorker Stadtviertel Manhattan East Side das durchschnittliche Haushaltsjahreseinkommen bei 101.000 Dollar. In Viertel Süd Bronx seien es hingegen nur 19.800 Dollar. Die Regierung müsse sich um die Ärmsten kümmern, sagt Dolan. Wohltätigkeit reiche nicht.