Getreidehafen in der Ukraine
Andrew Kravchenko/AP/dpa / evangelisch.de (M)
April 2023: In der Ukraine verladen Arbeiter Getreide in einem Getreidehafen in Ismajil. Moskau hat weite Teile des Schwarzen Meeres als gefährlich für die Schifffahrt erklärt. Die Kolumne evangelisch kontrovers erklärt die weltweiten Auswirkungen.
Kolumne evangelisch kontrovers
Ukraine-Krieg verursacht Hunger in Afrika – was tun?
Putins Blockade des Getreideexports aus der Ukraine zeigt, wie Russlands Angriff den Hunger in verschiedenen Ländern Afrikas verschlimmert. Der Ethik-Kolumnist Alexander Maßmann fragt, was zu tun ist.

Vergangene Woche fand ein Gipfeltreffen zwischen Putin und zahlreichen Vertretern afrikanischer Länder statt. Kurz zuvor hatte Putin das Abkommen aufgekündigt, mit dem die Ukraine Getreide exportieren konnte. Die Ukraine zählt zu den größten Getreide-Exporteuren der Welt, doch wenn Handelsschiffe nun die ukrainischen Schwarzmeerhäfen anlaufen wollen, müssen sie mit russischen Terrorakten rechnen. 

Nun wollte Putin afrikanische Länder mit Versprechungen kostenloser Getreidelieferungen auf seine Seite bringen. Doch einzelne Vertreter aus dem Süden sprachen offen aus, dass vergleichsweise kleine Geschenke nichts mit den eigentlichen Problemen zu tun haben. Hier und da verkündeten afrikanische Politiker, dass der Krieg mit der Ukraine den Hunger auf ihrem Kontinent verschärft.

Die verschiedenen Hunger-Krisen auf dem afrikanischen Kontinent drohen sich nun also noch einmal zu verschärfen. Was ist zu tun? Das Problem ist aus christlicher Sicht besonders dringend, denn die Bibel beschreibt Gott immer wieder so, dass er auf der Seite der Armen steht.

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Wie sollen wir der Hungerkrise in verschiedenen afrikanischen Ländern begegnen?

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Getreidehandel als Waffe Russlands

Russland hat der Ukraine Getreidefelder geraubt, auf denen letztes Jahr unter russischer Kontrolle etwa 5,8 Millionen Tonnen Getreide geerntet wurden. Auf ihrer Seite konnte die Ukraine fast dieselbe Menge verkaufen, weil Putin sich in einem Abkommen verpflichtete, den Handel nicht zu unterbinden. Nun aber erzwingt Putin ein Ende des ukrainischen Exports, und der trifft afrikanische Länder besonders hart, die einen Großteil ihres Getreides von außerhalb Afrikas einführen. Zwar ging 2022 nur ein kleinerer Teil der ukrainischen Lieferungen nach Afrika, doch das Lebensmittel wird weltweit knapper, und damit steigen die Preise insgesamt. Das wiederum trifft afrikanische Nationen besonders hart, die kaum Reserven haben.

Paul Biya (r), Präsident von Kamerun, und seine Ehefrau Chantal Vigouroux (l.), bei einer offiziellen Zeremonie zur Begrüßung der Delegationsleiter des Russland-Afrika-Gipfels durch Wladimir Putin.

Unterdessen leiden zahlreiche afrikanische Länder ohnehin an einer chronischen Versorgungskrise. Vor drei Jahren litt ein Fünftel der Bevölkerung Afrikas an Hunger. Etwa ein Drittel der Menschen war unterernährt. Das war zu Beginn der Covid-Pandemie, von der sich die Volkswirtschaften Afrikas jetzt allmählich erholen. Hinzu kommt außerdem, dass die Erwärmung aufgrund der Klimakrise inzwischen durchschlägt. Vor diesem Hintergrund lässt nun auch noch der Ukraine-Krieg die Getreidepreise steigen. 

Russland indes ist in den letzten Jahren zum größten Getreide-Exporteur der Welt aufgestiegen. Von dort stammt ein Viertel des weltweit gehandelten Getreides. Nun versucht das Land, seine Marktmacht auch politisch einzusetzen und die Abhängigkeit afrikanischer Länder auszunutzen.

Nigeria hat vor und während des russischen Krieges in der Ukraine Programme eingeführt, um die gröte Volkswirtschaft Afrikas bei der Weizenproduktion unabhängig zu machen.

Und der Westen?

Mal wieder ein Konflikt, in dem wir die Schuld klar auf Putin schieben können – so scheint es auf den ersten Blick. Doch Deutschland und die westliche Welt haben ebenfalls zu der Dauerkrise der afrikanischen Versorgung beigetragen. Das große aktuelle Beispiel: Der Westen hat mit seinen fossilen Brennstoffen entscheidend zur Klimakrise beigetragen. Unter ihr leidet aber Afrika wesentlich stärker. 

Schon länger besteht aber ein anderes Problem. Die westliche Handelspolitik fördert traditionell die Armut in Afrika. Zum Beispiel können afrikanische Länder Rohstoffe wie seltene Erden oder Schokolade ohne größere Hemmnisse in die EU exportieren. Möchten Afrikaner diese Rohstoffe aber selbst zu höherwertigen Produkten weiterverarbeiten und sie dann exportieren, schlagen wesentlich höhere Einfuhrzölle zu Buche. 

So hat der Westen Afrika traditionell vom Ausbau eigener Industrien abgehalten. Der Großteil unserer Kakaobohnen stammt etwa aus Westafrika, aber hergestellt wird unsere Schokolade in Europa. Schon in der Kolonialzeit fand die Weiterverarbeitung oft gerade dann in den Kolonien statt, wenn dazu billige Arbeitskräfte benötigt wurden (wie etwa beim Raffinieren des Zuckers), aber kaum anspruchsvolle Technologien. Würden afrikanische Länder nicht auch heute noch so benachteiligt, dann könnten sie auch Schwankungen auf dem Getreidemarkt besser verkraften. Die meisten Kakaobauern in Afrika haben noch nie Schokolade gegessen – und nun fehlt es an noch elementareren Dingen.

Tun wir nicht schon genug?

Nun könnte man entgegnen, dass Deutschland bereits viel für die Nahrungssicherheit in Afrika tut. Im internationalen Vergleich geben wir relativ viel Geld für Entwicklungshilfe aus. Gemessen am Gesamthaushalt bringen lediglich die nordischen Länder mehr auf als wir. Auch gegen die Entwicklungshilfe werden manchmal grundlegende Einwände vorgebracht, doch schon seit dem ersten Bundesminister für Entwicklungshilfe folgt dieser Bereich dem Motto "Hilfe zur Selbsthilfe". Und ja, der Name Entwicklungshilfe (oder "Entwicklungszusammenarbeit" etc.) ist unglücklich, doch das halte ich nicht für ein entscheidendes Argument.

Andererseits markieren die Ausgaben für Entwicklungshilfe nicht nur in Deutschland, sondern auch in der EU insgesamt einen tieferen Konflikt: Wenn wir mit der Entwicklungshilfe Armut bekämpfen wollen, weshalb dulden wir dann zugleich, dass die europäische Handelspolitik Wirtschaftswachstum in Afrika verhindert? Was wir mit der einen Hand geben, nehmen wir mit der anderen. Dass wir in der Entwicklungsarbeit mit notleidenden Staaten Geld einsetzen, ist gut, doch man kann die internationale Unterstützung nicht eng auf ein einzelnes Ressort begrenzen, während andere Zweige der Regierungsarbeit gegenläufige Ziele verfolgen.

Entwicklungshilfe nicht verringern

Außerdem wird nun selbst die deutsche Entwicklungshilfe gekürzt. Im Koalitionsvertrag hatte die Ampel noch festgelegt, dass die Entwicklungshilfe im Gleichschritt mit den Ausgaben für das Verteidigungsministerium steigen soll. Nun aber steigt nicht nur das Militärbudget wesentlich stärker, sondern die Entwicklungshilfe sinkt sogar noch.

Es gibt Argumente dafür, mehr in das Militär zu investieren. Doch die Bundeswehr profitiert ohnehin schon von einem "Sondervermögen" neben dem regulären Haushalt. Deshalb sollte die Erhöhung des Militärbudgets im regulären Bundeshaushalt geringer ausfallen, so dass die Entwicklungshilfe zumindest nicht schrumpft. Das Verteidigungsministerium scheint doch gar nicht in der Lage, so viel Geld auf einmal auszugeben. Wenn ab September über den neuen Bundeshaushalt entschieden wird, müssen wir diese Probleme klar ansprechen.

Ausblick

Oxfam hat festgestellt, dass die reichsten Länder den ärmsten 13 Billionen US-Dollar schulden, wenn man die Kosten der Klimakrise in Rechnung stellt sowie die Entwicklungshilfe, die versprochen, aber nicht gezahlt wurde. Von dieser bestimmten Zahl mal abgesehen: Entwicklungspolitik muss mit höherer politischer Dringlichkeit behandelt werden. Denn selbst wenn uns das menschliche Schicksal zahlreicher Kleinbäuerinnen in Afrika nicht juckt: Entwicklungspolitik ist auch Sicherheitspolitik – das zeigt sowohl der gegenwärtige antidemokratische Rollback in den Ländern der Sahelzone wie auch Putins Instrumentalisierung seiner Getreideexporte zu politischen Zwecken. Und schließlich ist Entwicklungspolitik auch Flüchtlingspolitik. Zeit also für ein größeres Umdenken, über das enge politische Ressort der Entwicklungspolitik hinaus!