Amal-Redakteurin Tamriko Shoshyashvili hat mit Ukrainer:innen gesprochen, die wegen des Krieges derzeit im kleinen Bremerhaven wohnen.
Wir trafen uns im Café für Internationale Begegnungen, einer Initiative der Evangelisch-Lutherischen Kreuzkirche Bremerhaven. Die meisten Ukrainerinnen, mit denen ich während des Besuchs im Café kommunizieren habe, sind in Bremerhaven angekommen, weil sie dort Verwandte haben. Andere wurden vom Ankunftszentrum dorthin überwiesen. Allerdings sind beide Gruppen zum ersten Mal in dieser Stadt: Die Straße, die Sprache, die Lebensweise, Traditionen, Gesetze – all das ist ihnen völlig neu, also müssen sie ganz von vorne beginnen – auch jene, die Verwandte hier haben.
Myroslava, Mutter von drei Kindern, kam aus Winnyzja nach Bremerhaven, weil die Familie des Bruders ihres Mannes hier lebt. Es ist Myroslavas erster Besuch in dieser Stadt. Sie stellt fest, dass Winnyzja vor allem in den vergangenen Jahren viel aktiver sei als Bremerhaven, es habe sich jedoch herausgestellt, dass das Leben in einer Kleinstadt seine Vorteile haben könne.
Fühlen sie sich in der kleinen Stadt wohl?
Erstens ist es die Natur. Hier sieht man überall Tiere und Vögel: Und das ist ein starkes Zeichen ökologischer Sicherheit, denn sie spüren es im Gegensatz zu Menschen viel sensibler. Und wenn wir konkret über Bremerhaven sprechen, ist die Tatsache, dass es eine Hafenstadt ist, ein wichtiger Umweltfaktor.
Der Zugang zum Meer ist hier etwas ganz Besonderes: Man kann sogar die Luft schnuppern. Einige sagen, dass sich der Gesundheitszustand eines Kindes mit Atemproblemen deutlich verbessert habe. Andere sagen, dass ältere Menschen weniger Schmerzen im Körper verspüren und die Kraft haben, längere Strecken zu gehen.
Diana, Myroslavas Freundin, die sie in diesem Café zum ersten Mal traf, obwohl beide aus Winnyzja stammen, weist auf einen weiteren Vorteil des Lebens in einer Kleinstadt hin: Hier kann man fast alles zu Fuß erreichen, auch mit Kind. Und daraus wird eine eigene Freizeitform: Schließlich kann man zu Fuß viele interessante Häuser, Plätze oder Parks besichtigen. Und wenn der Weg nicht weit vom Deich entfernt ist, dann hört man auch Möwen.
Brot als Willkommensgeschenk
Die ukrainischen Frauen, mit denen ich im Café gesprochen habe, berichten, dass sie weder Rassismus noch Verachtung persönlich erlebt haben. Lilia aus Iwano-Frankiwsk, die mit ihrer Tochter und zwei Enkelkindern hierher kam, sagt: "Als wir eine Unterkunft gefunden hatten, hörten wir fast am ersten Tag ein Klopfen an der Tür. Wir öffneten es – da war niemand, nur ein Korb mit Brot. Wie sich später herausstellte, ist es eine alte Tradition der Bewohner dieses Hauses: Wenn Neuankömmlinge einziehen, bekommen sie einen ähnlichen Korb geschenkt - als Wunsch, dass Hunger und Unfrieden ihre Familie nie treffen".
Eine gesonderte Aktion und Unterstützung für Zwangsmigrant:innen in Bremerhaven sind private Initiativen, die speziell zur Unterstützung der Ukraine organisiert werden - zum Beispiel Wohltätigkeits-Märkte oder Demonstrationen.
Bei diesen Veranstaltungen ist es nicht nur wichtig, dass die Ukrainer:innen im Ausland ausgebildet werden und ihr nationales Selbstverständnis stärken, sondern auch, dass Deutsche und deutsche Staatsbürger:innen mehr über die ukrainische Kultur und Mentalität erfahren und verstehen, warum es notwendig ist, der Ukraine bei der Verteidigung ihrer Unabhängigkeit von der Russischen Föderation zu helfen.
Jobsuche erweist sich als problematisch
Allerdings gibt es auch Nachteile des Lebens in Kleinstädten: Der Termin beim Arzt stelle eine echte Herausforderung dar. Auch die Jobsuche erweist sich als problematisch. Erstens aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse. Myroslava merkt an, dass sie persönlich gerne Deutsch lernt, aber es dauert mindestens zwei bis drei Jahre, um die Sprache von der Pike auf zu lernen und dann bis auf die Kommunikationsebene im Büro zu bringen. Trotzdem sind die Ukrainer optimistisch.
Sie sagen, dass man auch hier, in einer kleinen Stadt, einen Job finden kann. Vor allem im Bildungsbereich, in Hotels, in Seniorenheimen und im medizinischen Bereich. Daher überrascht mich ihre aktive Position überhaupt nicht. Die Ukrainer:innen sind es gewohnt, hart zu arbeiten und sich nur auf sich selbst zu verlassen. Deshalb versuchen sie unter allen Umständen, auch im Ausland, so schnell wie möglich wieder auf die Beine zu kommen und für sich selbst zu sorgen.
Starkes Heimweh - vor allem bei den Älteren
Trotz allem ist das Heimweh extrem stark. Alle Migrantinnen träumen von der Rückkehr in ihre Heimat, insbesondere diejenigen, die älter als 55 Jahre sind. Ja, die meisten von ihnen verließen die Ukraine nach Beginn des großen Krieges wegen der Kinder. Stattdessen sind sie sich nun sicher: Sobald die Lage nicht nur in der Ukraine, sondern auch hinsichtlich der Perspektiven in Deutschland klarer wird, werden sie zurückkehren, und die Kinder werden selbst entscheiden, ob sie das auch tun (sofern sie dafür alt genug sind).
Doch trotz allem, egal wie lange sie in Deutschland leben müssen, werden Kinder in den Traditionen der Ukraine erzogen. Die Mädchen, mit denen ich gesprochen habe, zeigen mir gerne gelb blaue Fahnen, die zu Hause aufgehängt sind, Videos, in denen sie ukrainische Lieder singen und wie sie Kindern erklären, warum sie Veranstaltungen zur Unterstützung der Ukraine organisieren und spenden müssen.
Nach einem Besuch in Bremerhaven und Gesprächen mit den Menschen, die dort leben, wurde mir klar, dass natürlich alles sehr individuell ist. Das Wichtigste ist, welche Ziele und Persönlichkeitsmerkmale ein Mensch hat.
Wenn man große berufliche Ambitionen hat, die Architektur von Wolkenkratzern und Shopping Malls und viele neue Leute kennenlernen mag, ist es besser, in einer Metropole zu leben. Für diejenigen, die Wert auf die Abwesenheit von Eile und Fremden legen, die kurze Wege und Stabilität sowie die Natur und gemütliche Straßen mit alten Häusern bevorzugen, können Kleinstädte in Deutschland eine ideale Option sein.