Einst schrieb Adnan Kadan für große Zeitungen. Heute genießt er die überschaubaren Strukturen in der Provinz. Man hat fast das Gefühl, dass Adnan Kadam die Stadt Northeim inzwischen auswendig kennt. Er sagt Sätze wie: Halt Dich an der ersten Kreuzung links und nimm dann die zweite Einfahrt hinterm Supermarkt. Auf dem Weg zu seinem Haus haben mein Kollege Khalid und ich ein bisschen das Gefühl wie früher in Syrien, wenn man einem Besucher erklärte, wie er den Weg findet. Diese Beschreibungen sind so viel schöner als die Computerstimme von Google Maps.
Adnan Kadam lebt seit September 2017 in Northeim, einer Kleinstadt in Niedersachsen mit mit 30.000 Einwohnern. Er ist, wie wir, Journalist. Nur dass er nicht, wie wir, nach der Flucht in der Großstadt Berlin gelandet ist, sondern hier in dieser kleinen Stadt. Wir wollten von ihm wissen, was das für ihn und seinen Beruf bedeutet – und wie er sich mit dieser Situation arrangiert hat.
Kadam hat in Syrien viele Jahre als Journalist gearbeitet. Er schrieb für arabische Zeitungen und Zeitschriften. Dann musste er Damaskus verlassen, es war Krieg und es war unmöglich, für ihn dort weiter zu leben. In Istanbul setzte er seine Arbeit fort. Aber in Deutschland sind seine Möglichkeiten begrenzt. Inzwischen hat Adnan Kadam sich umorientiert. Er arbeitet Vollzeit für den Sicherheitsdienst der Stadt Göttingen. Seine Frau ist in der Altenpflege tätig.
Kadam sagt: "Ich würde hier gerne in den Medien arbeiten. Ich liebe meinen Beruf. Aber ihn in Deutschland auszuüben, ist sehr schwierig. Man muss die deutsche Sprache so beherrschen, dass man professionell schreiben kann." Er machte Sprachkurse und schaffte es bis auf das C1-Niveau. Dann merkte er, dass diese Sprachniveaus nicht gleichbedeutend sind mit: "Kann für die deutsche Presse schreiben."
Es scheitert an der Sprache
Trotzdem hat er versucht, Artikel für die Lokalzeitung von Northeim zu schreiben. Für einen richtigen Job dort aber hat es nicht gereicht. "Das Schreiben für die Presse erfordert ein sehr hohes Maß an Sprachkenntnissen. Dabei geht es nicht um Rechtschreibung, sondern darum, kreativ zu sein. Für deutsche Leser zu schreiben, ist für Neulinge ziemlich kompliziert."
Es gibt noch einen anderen Weg, um als Araber in Deutschland zu publizieren: Man kann in seiner Muttersprache schreiben. Kadam sagt: "Ich habe versucht, in meiner Sprache zu schreiben und der arabischen Gemeinschaft und den Neuankömmlingen Nachrichten in ihrer Muttersprache zu präsentieren." Er nahm Kontakt zu den Grünen und der SPD auf, sein Nachbar war dort Mitglied, er schlug ihm vor, eine arabische Plattform zu schaffen. "Bei den Arabern fand ich offene Ohren und ich versuchte, eine Online-Zeitung zu etablieren." Mit viel Eigeninitiative und zusammen mit anderen Journalistinnen und Journalisten entstand "Die Perle des Orients".
Allerdings ist es bislang nicht geglückt, diese "Perle" fest zu etablieren. Kadam fährt fort: "Ich denke, dass wir in Niedersachsen dringend eine Plattform brauchen, die auf Arabisch publiziert. Eine große Zahl arabischer Leser hier ist daran interessiert, Nachrichten zu verfolgen, insbesondere ihre eigenen." Es sei ihnen nicht möglich, sich auf die deutsche Presse zu verlassen, da dies ein fortgeschrittenes sprachliches Niveau voraussetzt.
Begrenzte Aktivitäten und Veranstaltungen
Das Leben in Northeim beschreibt Kadam als monoton, es ist nicht viel los, es gibt kaum Jobs. Es gibt auch nicht viele soziale Aktivitäten, die zur besseren Integration von Neuankömmlingen beitragen. Da ist einzig die Dialog-Café-Initiative. Kadam sagt: "Diese Initiative will das Leben leichter machen." Hier können Syrer Anfragen stellen und bekommen Hilfe bei, Ausfüllen von Anträgen für das Arbeitsamt oder die Ausländerbehörde, bei der Wohnungssuche, beim Umgang mit dem BAMF und vieles mehr." Es gibt auch Sprachkurse, aber die sind nur für Anfänger.
Gehen oder bleiben?
Manchmal denkt Kadam darüber nach, ob er in eine größere Stadt ziehen sollte – nach Berlin, Hamburg oder Frankfurt. Er sagt: "Wenn ich dort im Journalismus arbeiten könnte, dann würde ich das tun." Einmal hat versucht, eine Stelle bei einer arabischen Plattform in Hamburg zu bekommen. Aber da wurde nichts draus.
Er fügt hinzu: "Im Allgemeinen bin ich nicht bereit, diese Stadt zu verlassen. Wir sind es gewohnt, hier zu leben. Großstädte sind überfüllt, und ich finde, dass sie für Familien nicht gut sind. Meine Stadt hier ist ruhig, es gibt keine Probleme, und man hört kaum die Sirenen von Polizeiautos. Außerdem bekommt man hier schnell einen Termin bei den Ämtern und Behörden, man muss nicht wochenlang auf einen Termin bei der Gemeinde, dem Arbeitsamt oder der Einwanderungsbehörde warten.
Probleme mit Fremdenfeindlichkeit?
Es gibt noch einen weiteren wichtigen Aspekt, der das Lebensgefühl der Menschen – insbesondere von Ausländern – prägt. Es ist eine Frage des Rassismus und der Akzeptanz des anderen.
Kadam sagt: "Hier in Northeim gibt es sehr wenig rassistische Einstellungen, und ich kann sagen, dass es hier keinen Rassismus gibt! Nur ein einziges Mal wollte mir jemand nicht helfen, es war ein Mitarbeiter des Arbeitsamtes. Ich weiß nicht, ob das ein Fall von Rassismus war oder nur Zufall."
"Ich denke, wenn wir die Vor- und Nachteile des Lebens hier vergleichen, werden die positiven Aspekte die negativen überwiegen", sagt Kadam. Negativ sei, dass es wenig Arbeitsplätze gibt und sich auf interessante Stellen immer viele Menschen bewerben. Negativ sei auch, dass es – anders als zum Beispiel in Berlin – hier keine Veranstaltungen für Araber gibt, wie etwa ein Theater, eine Ausstellung oder Initiativen zur Bildung und Unterhaltung von Kindern."
Aber Kadam hält die positiven Seiten dagegen: "Mein ältester Sohn Kinan ist neun Jahre alt und der jüngste Karam ist sieben. Die beiden haben wie alle Kinder ihres Alters große Energien und brauchen Aktivitäten dafür." Zwar gibt es kaum Angebote für die Kinder. Aber dafür viel Platz. "Meine Frau und ich kümmern uns darum und nutzen jede Gelegenheit, mit ihnen am See oder im Garten zu spielen."
Dieser Beitrag entstand im Rahmen von Amal on Tour, einer Kooperation zwischen der Redaktion von Amal und der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers.
evangelisch.de dankt "Amal Berlin" für die inhaltliche Kooperation.