Die Sonne scheint auf den Innenhof der Peterskirche mit seinem smaragdgrünen Rasen und dem ausladenden Ahornbaum. In seinem spitzen Schatten stellen die Pfarrerin und ihre Assistenten Tische und Stühle auf, bringen heißen Kaffee und Tassen, die ersten Erdbeeren, blaue Weintrauben und Kekse. Es ist noch still, die nur gelegentlich hört man Vögel zwitschern.
Ja, die Stadt Burgwedel ist nicht laut. Das gemessene Leben von 20.000 Einwohnern lässt sich nicht mit dem Lebenstempo im benachbarten Hannover, der niedersächsischen Landeshauptstadt, und erst recht nicht mit dem Trubel in Berlin vergleichen. Es scheint, als sei hier jeder Tag ein Sonntag. Doch heute ist Mittwoch, die Zeit der traditionellen Tee-Party der ukrainischen Gemeinde in Burgwedel, zu der manchmal bis zu 40 Gäste kommen.
Die freien Stühle am Tisch werden immer weniger, und bald reichen sie nicht mehr aus. Das Lachen der Kinder übertönt sofort die Vögel, und Mütter mit Kinderwagen, junge und alte Frauen und ein paar ältere Männer beginnen zu reden. Sie sitzen dicht beieinander, umarmen sich manchmal, flüstern über heikle Dinge, machen sich übereinander lustig... Ich fühle mich, als wäre ich in ein fremdes Fest eingedrungen, auf dem mehrere Dutzend alte Freunde eine große Sache daraus machen. Und als gäbe es nichts auf der Welt, was sie dazu veranlasst hätte, sich hier zu treffen.
"Ich habe nur Geschichten über den Krieg gehört und die Nachrichten im Fernsehen gesehen", sagt Bodil Reller, Pastorin der evangelisch-lutherischen St. Peter's Church, "aber jetzt sehen wir echte Geschichten, echten Kummer. Es ist so schwer... Nicht jeder kann über den Krieg sprechen. Aber diese Frauen sind stark, sie kämpfen für ihre Kinder und zeigen ihren Schmerz nicht."
Die Deutschen reagierten sofort auf die Ereignisse in der Ukraine. Von Berlin bis Burgwedel öffneten sie die Türen ihrer Wohnungen und Häuser ohne Bedingungen. Sie nahmen kinderreiche Familien, schwangere Frauen, alte Menschen im Rollstuhl, Familien mit Katzen und Hunden aus den Grenzgebieten und Lagern auf. Und sie blieben ihre Freunde, auch nachdem die Ukrainer eine eigene Unterkunft gefunden hatten. "Eine deutsche Familie lädt uns immer noch zu sich ein", "die Familie, bei der wir gelebt haben, hilft uns immer noch mit Dokumenten", "wir kommunizieren immer noch und treffen uns an Feiertagen" - es gibt viele Geschichten der Dankbarkeit am Tisch.
Die deutschen Kirchen sind zu besonders wichtigen Zentren der Hilfe und Unterstützung für die Ukrainer geworden.
Sprache ist wichtig
Im März 2022 organisierte die evangelisch-lutherische Gemeinde St. Peter's Church einen Grundkurs in Deutsch. Sie lehrten das Alphabet, die Grundlagen des Lesens, Zahlen und die gebräuchlichsten Verben. "Das hat uns sehr geholfen", erinnert sich Iryna, eine Reiseleiterin aus Odessa, "im Mai, als wir mit dem Integrationskurs begannen, wussten wir schon etwas, so dass es für uns viel einfacher war. Und die Mädchen, die in Wettmar (einer Nachbarstadt von Burgwedel) zur Schule gingen, waren sehr gute Schülerinnen, sie wurden sehr gut unterrichtet."
Auch heute noch sind Freiwillige in der Petruskirche tätig. Zehn pensionierte Deutschlehrer geben montags zusätzlich Sprachunterricht für Ukrainer. "In den Integrationskursen kommen wie in der Schule 25-30 Leute auf einen Lehrer", erklärt Pfarrerin Bodil Reller, "da haben die Leute gar nicht die Möglichkeit, selbständig Sätze zu bilden. Hier sind es vier oder fünf Personen in einer Gruppe. Die Ukrainer wollen wirklich Deutsch lernen. Unsere Lehrer sind zwar schon im Rentenalter, aber sie wissen genau, was sie tun."
Es gibt auch Musikunterricht für Kinder. Am liebsten aber treffen sich die Burgwedeler mittwochs zum Teekränzchen. Zum ersten Mal trafen sie sich am 31. März 2022 auf dem Kirchhof. Seitdem haben sie kein einziges Mal gefehlt.
Diese Mittwoche sind zu einem Ort der Kommunikation in ihrer Muttersprache geworden. Ukrainer aus Kiew, Charkiw, Odesa und Cherson, von denen die meisten in ihren Familien Russisch gesprochen haben, haben es in Burgwedel bewusst aufgegeben. Surzhyk ist häufig zu hören, aber die neuen Burgwedeler hören nicht auf, Ukrainisch zu lernen. Sie sprechen es untereinander, schreiben Nachrichten und lesen ukrainische E-Books. Sie wünschen sich auch eine eigene ukrainische Bibliothek mit Büchern aus Papier in der Kirche. "Freiwillige haben Kinderbücher verteilt", klagt Olena aus Kiew, "aber ich habe eine Tochter im Teenageralter. Ich kann in den Geschäften kein einziges Buch für sie finden."
Öffentliche Verkehrsmittel sind rar
Ob die Ukrainer in einer großen oder einer kleinen deutschen Stadt leben, sie stehen vor den gleichen Problemen. Einige haben ihre Dokumente schnell erhalten, andere haben sechs Monate gewartet. Manche haben sofort einen Kindergartenplatz bekommen, andere haben noch keinen. In der Kirche St. Peter gibt es zwar einen Kindergarten, aber der hat mehr als 100 Kinder im Alter von einem bis sechs Jahren und keine freien Plätze. Dennoch nehmen Freiwillige die kleinen Ukrainer gerne zweimal pro Woche für anderthalb Stunden auf. Die Kinder spielen, lernen mit Gleichaltrigen Deutsch, und die Mütter haben etwas Zeit für sich.
Das Leben in der Provinz hat jedoch einen entscheidenden Unterschied zum Leben in der Stadt: die öffentlichen Verkehrsmittel sind rar. An Fahrplan und Komfort gibt es nichts auszusetzen, aber während des Streiks haben die Burgwedeler im Gegensatz zu den Berlinern keine Alternativen. Und 25 Kilometer nach Hannover sind eine lange Strecke. Olenas Tochter, die in Kiew eine gute Schwimmerin war, kann also nicht jeden Tag nach Hannover fahren. Gut, dass die begabte Anastasia fast sofort ein neues Hobby gefunden hat - das Saxophon. Dass sie vorher noch nie ein Saxophon in der Hand hatte, störte sie nicht im Geringsten. Auch Deutsch hat sie erstaunlich schnell gelernt. Alle in der Gemeinde sind stolz und bereit, ihre neuen Fähigkeiten der Welt zu zeigen.
"Auch wenn es nur ein kleiner Bus wäre", ruft Yurii aus Charkiw, "auch wenn er alt wäre! Ich bin Rentner, ich habe Zeit, ich kann fahren, transportieren, helfen." "Das wäre großartig!", echauffierten sich die Frauen. Yuriy ist 66 Jahre alt und hat eine lange Geschichte der Freiwilligenarbeit in Charkiw, da er seit 2014 der Armee hilft. Deshalb ist er auch hier immer bereit, die Frauen zu unterstützen. "Die Mädchen brauchen immer Möbel, irgendjemand zieht immer irgendwo hin. Und hier auf der Straße gibt es sie umsonst - nimm sie einfach! Aber womit? Bis man Hilfe findet, ist nichts mehr da, was man mitnehmen könnte."
Die Gemeinschaft würde mit einem solchen Bus auch gerne auf Reisen gehen. Da die meisten von ihnen Europa zum ersten Mal gesehen haben, träumen die Frauen von Bremen und Berlin. Sogar das Wort "Paris" wird erwähnt, obwohl sie ungläubig lachen. Auf die Frage, warum sie nicht jeder für sich ein eigenes Programm machen, liegt die Antwort auf der Hand: Gemeinsam macht es mehr Spaß.
Gemeinde ist sehr hilfsbereit
Bedauern sie es, nicht in einer Großstadt zu leben? "Nein, überhaupt nicht!", lautet die fast einhellige Antwort. "Im Gegenteil", gibt Valeria zu, die mit ihrer kleinen, schwangeren Tochter aus Charkiw nach Deutschland gekommen ist, "ich will gar nicht weg, ich mag die Stadt sehr, ich habe jetzt viele Bekannte und Freunde. Valerias Mann, ein Berufssoldat, hat die Burgwedeler Familie kürzlich besucht. Und die Art und Weise, wie die Frauen am Tisch darüber sprachen, zeigte, dass das freudige Wiedersehen des Paares eine Freude für die ganze Gemeinde war.
"Die Gemeinde ist sehr hilfsbereit", so die junge Frau weiter, "Wenn jemand irgendwo einen Kinderwagen oder Kindersachen sieht, bringt er sie gleich mit. Jetzt gibt es keine fremden Kinder mehr. Yana ist gerade eingezogen, ihr Sohn geht in dieselbe Schule wie meine Tochter. Wir haben vier Wohnungen auf einer Etage im sozialen Wohnungsbau zugewiesen bekommen. Die Türen sind immer offen! Die Kinder sind entweder bei mir oder bei ihr. Meine Tochter kommt und erzählt mir, was sie gegessen haben und wann... Es gibt keine fremden Kinder, keine fremden Familien, keine fremden Probleme.
Dieser Beitrag entstand im Rahmen von Amal on Tour, einer Kooperation zwischen der Redaktion von Amal und der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers.
evangelisch.de dankt "Amal Berlin" für die inhaltliche Kooperation.