Kurschus sagte am Donnerstag laut Mitteilung der EKD in Hannover, vielleicht liege in der Nicht-Entscheidung eine Chance, im nächsten Jahr einen neuen Entwurf vorzulegen, der die Bedenken gegen die beiden aktuell vorliegenden Entwürfe ausräume und die überzeugende Mehrheit erhalte, die es für ein derart sensibles Thema brauche.
Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, erklärte, ein derart wichtiges Thema, von dem potenziell alle Menschen in existenzieller Weise betroffen seien und das das Zusammenleben präge, dürfe nicht ungeregelt bleiben. Bätzing betonte, es brauche ein Schutzkonzept, das sowohl den freiverantwortlichen Suizidwunsch als auch ein "dem Leben zugewandtes Gesamtklima" berücksichtige. Der assistierte Suizid dürfe in Deutschland nicht zur gesellschaftlichen Normalität am Lebensende werden.
Beide Kirchen sprachen sich zugleich dafür aus, die Suizidprävention, Palliativmedizin und Palliativpflege auszuweiten. Die medizinischen, pflegerischen und therapeutischen Berufe müssten entsprechend gestärkt werden, damit Menschen in Notlagen und existenziellen Grenzsituationen in jeder Hinsicht bestmöglich unterstützt würden, so EKD-Ratsvorsitzende Kurschus.
Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, befürchtet nun eine gesetzliche Leerstelle und forderte eine gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung. Dabei seien auch die Religionsgemeinschaften in der Pflicht. Gerade in ethischen Fragen sei die Einbindung religiöser Gruppen geboten und scheine notwendiger denn je.
Die Präsidentin des Deutschen Caritasverbands, Eva Maria Welskop-Deffaa, erklärte, es sei unerlässlich, dass die Anstrengungen zur Regulierung im nächsten Jahr wieder aufgegriffen würden. Die Diakonie Deutschland teilte mit, sie sehe das Scheitern als Chance, um zu überzeugenderen Lösungen zu kommen. Diakonie-Präsident Ulrich Lilie erklärte, Politik und Gesellschaft sollten in Ruhe weiter diskutieren, was Menschen mit Sterbewunsch gerecht werde, ohne dass der assistierte Suizid zur Normalität werde.
Bedford-Strohm: Schutz des Lebens auch am Ende des Lebens
Der bayerische Landesbischof und frühere EKD-Ratsvorsitzende, Heinrich Bedford-Strohm, sagte, auch wenn beide Gesetzentwürfe gescheitert seien, bleibe die Aufgabe sicherzustellen, "dass der Schutz des Lebens auch am Ende des Lebens nicht Schaden leidet".
Caritas und Bischofskonferenz hatten sich zuvor für den strikteren Vorschlag der Gruppe um die Bundestagsabgeordneten Lars Castellucci (SPD) und Ansgar Heveling (CDU) ausgesprochen, der für eine Regelung im Strafrecht plädierte und ein ärztliches Gutachten zur Voraussetzung für Sterbehilfe machen wollte. Die evangelische Kirche hatte sich hinter keinen der beiden Gesetzesvorschläge positioniert.
Kirchen und Verbände sprachen sich zugleich dafür aus, die Suizidprävention, Palliativmedizin und Palliativpflege auszuweiten, um Betroffene besser zu erreichen. Das Parlament verabschiedete am Donnerstag auch einen Entschließungsantrag, der sich für ein Suizidpräventionsgesetz ausspricht. Die Bundesregierung soll dafür bis Ende Juni 2024 einen Entwurf vorlegen.
Zwei Gesetzesentwürfe durchgefallen
Die Hilfe bei der Selbsttötung ist legal und trotzdem ein Graubereich. Ein Sterbehilfe-Gesetz sollte Klarheit schaffen, doch die Vorschläge dafür überzeugten am Ende nicht. Der Bundestag ließ beide Gesetzentwürfe am Donnerstag scheitern.
Diese "Sternstunde des Parlaments", wie ethische Debatten im Bundestag mit Abstimmungen ohne den sogenannten Fraktionszwang oft genannt werden, ist anders. Am Morgen nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, das Heizungsgesetz zu stoppen, bleiben bei der Debatte über ein Sterbehilfe-Gesetz am Donnerstag im Bundestag ungewöhnlich viele Reihen leer. Der Kanzler fehlt auf der Regierungsbank. Im Ministerrang sind nur Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) vertreten. Die Debatte ist konzentriert und kontrovers. Am Ende gibt es ein für viele ernüchterndes Ergebnis: Der Bundestag lehnt alle Entwürfe ab. Die aktuell teils unklare Rechtslage bleibt bestehen.
2020 urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass das Recht auf selbstbestimmtes Sterben das Recht umfasst, sich selbst zu töten und dabei Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen. Suizidassistenz ist damit auch wieder in organisierter Form erlaubt. Sie bewegt sich aber in einem Graubereich, weil etwa das Betäubungsmittelgesetz nicht vorsieht, dass Medikamente zum Zweck der Selbsttötung abgegeben werden.
Enttäuschung auch beim Ethikrat
Zwei Gruppen von Bundestagsabgeordneten machten sich nach dem Urteil daran, Rechtssicherheit zu schaffen. Beide schlugen ein Verfahren vor. Die eine Gruppe um den SPD-Abgeordneten Lars Castellucci betonte dabei den Schutz vor Missbrauch durch einen Vorschlag für eine strafrechtliche Regelung. Den Fokus auf Selbstbestimmung legte die FDP-Abgeordnete Katrin Helling-Plahr und schlug eine Beratungsregelung vor. Das Betäubungsmittelgesetz wollten beide Gruppen ändern.
Dazu kommt es nun nicht, nachdem der Bundestag beide Entwürfe abgelehnt hat, wenn auch den von Castellucci mit 304 Ja- zu 363 Nein-Stimmen relativ knapp. Für den Vorschlag von Helling-Plahr stimmten 287 Abgeordnete, dagegen 375.
Enttäuschung über das Scheitern der Gesetze gab es danach nicht nur bei den Abgeordneten, die teilweise Jahre an einer Regelung gearbeitet hatten. Auch die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Alena Buyx, bedauerte mit Blick auf Betroffene die Entscheidung des Bundestags. Nicht nur Patient:innen, auch Ärzt:innen, Pflegekräfte und Einrichtungen hätten durchaus das Bedürfnis nach Klarheit, sagte sie dem epd.
Castellucci und sein Mitstreiter Benjamin Strasser (FDP) ließen am Donnerstag erkennen, dass sie einen neuen Versuch noch in dieser Wahlperiode erwägen. Ihnen könnte aber auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zuvorkommen. Er teilte nach der Entscheidung am Donnerstag mit, jetzt die Rechtslage genau prüfen zu wollen. Das Gesundheitsministerium müsse sich damit beschäftigen, wie die Abgabe etwa des bei assistierten Suiziden eingesetzten Mittels Pentobarbital geregelt werde, sagte er.
Der Minister versprach zudem, einen Suizidpräventionsplan vorzulegen, nachdem der Bundestag am Donnerstag zwar kein Suizidhilfe-Gesetz, aber mit überragender Mehrheit einen Antrag für mehr Suizidprävention verabschiedete. Immerhin das stieß auch bei Kirchen, Verbänden und Ethikrat auf lobende Worte. Wenn man über Hilfe und Begleitung beim Suizid nachdenkt, müsse man unbedingt gleichzeitig intensiv über Prävention nachdenken, sagte die Ethikratsvorsitzende Buyx.