Der Mainzer Sozialmediziner Gerhard Trabert hat die Verzögerungen bei der Kindergrundsicherung kritisiert. Es sei ein Skandal, dass die Bundesregierung das Thema vertage, weil laut Finanzminister Christian Lindner (FDP) das Geld dafür nicht da sei, sagte Trabert in einem Gespräch mit dem rheinischen Präses Thorsten Latzel, das am Wochenende veröffentlicht wurde.
Gegen Kinderarmut, die immer zusammen mit Eltern- und Familienarmut gedacht werden müsse, werde immer noch viel zu wenig in Deutschland getan.
Trabert forderte eine Umkehr der Debatte: "Natürlich haben wir das Geld", sagte er. Denn wer über Armut redet, müsse auch über Reichtum reden. "Das ist keine Neiddiskussion, sondern eine Diskussion über soziale Verantwortung, die gerade auch Menschen mit vielen Ressourcen haben", betonte der Gründer des Hilfsvereins "Armut und Gesundheit in Deutschland".
Er warb allgemein für ein neues gesellschaftliches Bewusstsein der "Gleichwürdigkeit". Von Armut betroffene Menschen erlebten viel Ausgrenzung, sagte der Obdachlosenarzt. Das beginne schon im Kleinen, wenn sich einkommensschwache Eltern kein Eis für ihre Kinder leiste könnten. Neben besseren Rahmenbedingungen für mehr soziale Gerechtigkeit und gleiche Bildungschancen sei es wichtig, dass die Betroffenen wieder ein Selbstwertgefühl entwickeln, indem sie einen würdevollen und respektvollen Umgang erfahren. "Wir sollten stets auf Augenhöhe mit Menschen in Beziehung zu treten", appellierte Trabert.
"Gleichwürdigkeit" ein christlicher Gedanke?
Präses Latzel nannte den Begriff der "Gleichwürdigkeit" einen zutiefst christlichen Gedanken. Auch Jesus habe sich völlig mit dem anderen identifiziert, um in ihn immer den Mitmenschen zu sehen und ihn nicht zum Bittsteller zu machen, sagte der leitende Theologe der zweitgrößten Kirche in Deutschland. Armut könne heute jede und jeden in Deutschland treffen, etwa durch Krankheit. "Dafür sind wir da als Solidargemeinschaft, uns gegenseitig zu stärken."
Thorsten Latzel hat am Wochenende seine diesjährige "Pligertour der Hoffnung" beendet. Seine achte und letzte Etappe führte ihn am Samstag entlang des Rheinverlaufs von Oberwesel nach Bingerbrück in Rheinland-Pfalz. Ein Stück des Weges begleitete ihn Gerhard Trabert, mit dem er über Armut in Deutschland sprach.
Am 24. Juni war der Präses in Bonn in NRW zur seiner 200 Kilometer langen Wanderstrecke durch das Gebiet der rheinischen Kirche aufgebrochen. Jede Tagesetappe stand unter einem anderen Thema, zu dem Latzel von unterschiedlichen Gesprächspartnern begleitet wurde. "Pilgern macht dankbar und demütig", sagte er zum Abschluss der dritten "Sommertour der Hoffnung". Es verändere auch den Blick dafür, "was wesentlich ist und worauf es wirklich ankommt. Wir sollten ganz anders auf die Schwächsten in unserer Gesellschaft achten, auf die Menschen, die unsere Hilfe brauchen.