Die für eine liberale Regelung der Suizidassistenz eintretenden Gruppen von Bundestagsabgeordneten gehen mit einem gemeinsamen Gesetzesvorschlag in die Abstimmung im Parlament. Am Dienstag präsentierten die ursprünglich zwei Gruppen um die Parlamentarierinnen Katrin Helling-Plahr (FDP) und Renate Künast (Grüne) in Berlin einen gemeinsamen Entwurf.
Sie schlagen vor, Sterbewilligen den Zugang zu tödlich wirkenden Medikamenten zu ermöglichen, wenn sie zuvor eine Beratung in Anspruch genommen haben. In Härtefällen - wenn sich jemand "in einem existenziellen Leidenszustand mit anhaltenden Symptomen" befindet - soll ein Arzt auch ohne Beratung die Mittel verschreiben dürfen. Einen Anspruch darauf soll es aber nicht geben. Findet sich kein Arzt, der zur Verschreibung der Mittel bereit ist, soll die im jeweiligen Bundesland zuständige Behörde die Erlaubnis zum Erwerb des Mittels erteilen.
Im Gesetzentwurf finden sich damit Ideen der ursprünglich beiden Gruppen wieder. Dazu gehört das von Helling-Plahr angestrebte bundesweite Beratungsnetz. Die Unterscheidung zwischen Sterbewilligen mit und ohne medizinischer Notlage war die Idee von Künast. Die Gruppen habe eine Grundhaltung geeint, nämlich der Respekt vor dem Recht auf selbstbestimmtes Sterben, sagte Helling-Plahr bei der Vorstellung. Künast sagte, man sei sich zudem einig gewesen, dass es keine strafrechtliche Regelung zur Suizidassistenz geben soll.
Voraussetzung für die Hilfe bei der Selbsttötung soll dem Entwurf zufolge Volljährigkeit und der Nachweis eines autonom gebildeten, freien Willens sein. Beides gilt unabhängig davon, ob der Betroffene ein Härtefall ist oder nicht. Die Gruppe, der weitere Abgeordnete von SPD, Grünen, SPD und Linken angehören, legte am Dienstag zudem einen zusätzlichen Entschließungsantrag vor, der die Bundesregierung auffordert, eine Nationale Strategie zur Suizidprävention vorzulegen.
Abstimmung im Juli
Dem Parlament liegen für die in der ersten Juli-Woche geplante Abstimmung nur noch zwei statt drei Vorschläge vor. Der Entwurf der Gruppe um Helling-Plahr und Künast konkurriert dann mit dem Vorschlag der Gruppe um Lars Castellucci (SPD), die organisierte Hilfe bei der Selbsttötung im Strafrecht verbieten, unter Bedingungen aber erlauben will. Dazu zählen eine psychiatrische Begutachtung und eine Beratung. Auch sie betonen in einem zusätzlichen Antrag die Notwendigkeit der Suizidprävention.
Das Bundesverfassungsgericht hatte 2020 ein pauschales Verbot der organisierten Suizidassistenz gekippt. Es urteilte, das Recht auf selbstbestimmtes Sterben schließe das Recht ein, sich das Leben zu nehmen und dabei die Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen. Seitdem wird um eine Neuregelung gerungen und damit auch die Frage, ob Regeln zur Suizidassistenz per Strafrecht sanktioniert werden können oder nicht.
Die Abstimmung über diese Gewissensfrage soll ohne Fraktionszwang erfolgen. Unterstützung bekommen die Entwürfe jeweils aus unterschiedlichen Fraktionen, auch die Mitglieder der Bundesregierung, die dem Bundestag angehören, werden sich voraussichtlich unterschiedlich entscheiden.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) unterstützen beispielsweise den Castellucci-Entwurf, Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) gehören zu den Unterzeichnern des ursprünglichen Helling-Plahr-Entwurfs.
Sollte dieser Entwurf eine Mehrheit bekommen, muss auch der Bundesrat seine Zustimmung geben. Dies werde notwendig durch die Beratungsstruktur, für die die Länder dann aufkommen müssten, erläuterte der Grünen-Abgeordnete Till Steffen. Noch ist aber völlig offen, wie die Abstimmung ausgeht. Es gebe noch viele Abgeordnete, die sich noch nicht entschieden haben, sagte Helling-Plahr.
Patientenschützer warnen
Patientenschützer warnen davor, Angebote zur Sterbehilfe in Deutschland gesetzlich zu regeln. "Die organisierte Hilfe zur Selbsttötung lässt sich nicht durch ein Gesetz regeln", sagte Eugen Brysch, Vorstand der Stiftung Patientenschutz, den Zeitungen der Funke Mediengruppe am Dienstag. Die Selbstbestimmung der Sterbewilligen und der Schutz vor Fremdbestimmung seien viel zu komplex, um sie in Paragrafen zu pressen. Es sei darüber hinaus ein "Irrglaube", dass autonome Entscheidungen durch Pflichtberatungen, wie sie derzeit im Gespräch sind, allgemeingültig überprüfbar wären.
Brysch beklagte in diesem Zusammenhang, dass Psychotherapie und würdevolle Pflege oder Therapie für viele sterbenskranke, lebenssatte, psychisch kranke oder depressive Menschen weiter unerreichbar seien. "Suizidprävention bleibt somit viel zu häufig auf der Strecke", sagte er.
Das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar 2020 geurteilt, dass das Recht auf selbstbestimmtes Sterben auch das Recht umfasst, hierbei Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen. Eine bis dahin geltende Regelung, die organisierte Suizidassistenz von Sterbehilfeorganisationen verboten hatte, erklärte das Gericht für nicht zulässig. Seitdem wird im Bundestag über eine mögliche Folgeregelung diskutiert. Am Dienstag soll in Berlin eine fraktionsübergreifende Initiative vorgestellt werden.