Der Bundesverteidigungsminister hat kürzlich bezweifelt, ob die Bundeswehr ihr Ziel einer Erweiterung um etwa 20.000 Soldaten in den kommenden Jahren erreichen wird. Deshalb hat die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Eva Högl, den Vorschlag gemacht, eine allgemeine Musterung wiedereinzuführen, in der die Bundeswehr feststellt, wer sich für den Dienst an der Waffe eignet. Vom strikten Prinzip der Freiwilligenarmee weicht eine verpflichtende Musterung ab. Eine allgemeine Wehrpflicht schwebt Högl aber auch nicht unbedingt vor. Immerhin: Mit einer allgemeinen Musterung und der freien Wahl für oder gegen den Militärdienst, wie etwa Schweden das praktiziert, würde man mehr junge Menschen dazu bewegen, einen freiwilligen Dienst in den Streitkräften zumindest ernsthaft zu erwägen.
Was ist aus theologisch-ethischer Sicht von verschiedenen Wegen zu halten, die Bundeswehr zu erweitern? Besonders die Schlagwörter Wehrpflicht und Freiwilligenarmee lassen aufhorchen. Ist die Freiwilligenarmee, wie wir sie seit zwölf Jahren in Deutschland haben, nicht theologisch sinnvoll? Für Christinnen und Christen würde sie Jesu Weg der Gewaltfreiheit offenlassen. Eine Wehrpflicht könnte demgegenüber als eine Militarisierung der Gesellschaft erscheinen, selbst dann, wenn der zivile Ersatzdienst möglich ist. Andererseits hat sich der Verteidigungsminister eine offene Debatte über die Wehrpflicht gewünscht. Sie hätte immerhin das Leitbild von "Bürger:innen in Uniform" für sich, das auch in der Bundeswehr einen demokratischen Geist fördern würde.
Die Erweiterung der Bundeswehr
Zur Zeit der deutschen Vereinigung umfassten Bundeswehr und NVA zusammen 600.000 Soldaten. Mit dem Ende des Kalten Kriegs war man etwa drei Jahrzehnte lang der Ansicht, dass der Verteidigungsfall eigentlich nicht eintreten kann. Die Bundeswehr schrumpfte auf ihre gegenwärtigen 182.000 Soldaten. In der Größe des Militärbudgets, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, liegt die Bundeswehr (ohne Berücksichtigung des neuen Sondervermögens) nun an 19. Stelle in der EU. Setzt man die Anzahl von Soldaten ins Verhältnis zur Landesbevölkerung, unterhält in Europa nur Malta kleinere Streitkräfte als Deutschland. Diese Position wird auch die geplante Aufstockung nicht dramatisch verändern. Unterdessen hat sich Deutschland als Teil der NATO dazu verpflichtet, zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes in den Wehr-Etat zu investieren. Auch mit dem neuen "Sondervermögen Bundeswehr" wird Deutschland diese Schwelle weiterhin unterschreiten.
Alexander Maßmann wurde im Bereich evangelische Ethik und Dogmatik an der Universität Heidelberg promoviert. Seine Doktorarbeit wurde mit dem Lautenschlaeger Award for Theological Promise ausgezeichnet. Publikationen in den Bereichen theologische Ethik (zum Beispiel Bioethik) und Theologie und Naturwissenschaften, Lehre an den Universitäten Heidelberg und Cambridge (GB).
Noch die letzte Regierung hatte sich die Vergrößerung der Bundeswehr auf 203.000 Soldatinnen und Soldaten vorgenommen. Dann brachen mit der Pandemie die Bewerbungen bei der Bundeswehr ein, und der Ukraine-Krieg hat einen erneuten Rückgang bewirkt.
Doch mit Russlands Angriff auf die Ukraine wirkt der militärische Verteidigungsfall plötzlich nicht mehr abstrakt und unrealistisch. Zu einer wirklichen Landesverteidigung ist aus Fachkreisen sogar ein Bedarf an Soldaten zu hören, der 203.000 klar übersteigt.
Der ethische Sinn des Militärs
Jesu radikale Gewaltfreiheit kann den Anschein erwecken, dass Christ:innen die Bundeswehr eigentlich ablehnen sollten. Dieser Ansicht bin ich nicht. Andererseits meine ich aber auch nicht, dass militärische Rüstung deswegen geboten wäre, weil man mit Heimat und Kultur zwei Gaben Gottes des Schöpfers schützen müsste, dass also die teils leidvolle Wirklichkeit der Schöpfung auch einen Auftrag des Schöpfers beinhalten würde, die heimische Scholle und das Deutschtum mit Gewalt zu verteidigen.
Vielmehr sollen auch Christen zur militärischen Verteidigung beitragen, weil Jesu Kreuz und Auferweckung Versöhnung gestiftet hat zwischen den Menschen und Gott. Das klingt paradox. Doch die Rechtfertigung des Menschen vor Gott bedeutet, dass vor Gott jeder Mensch volle Anerkennung erhält. Man darf keinem Menschen sein Recht streitig machen, weil Jesus Christus entscheidend für das Recht eines jeden Menschen eingetreten ist. Diese Grundlegung des Rechts in der Geschichte Jesu Christi bedeutet, dass das Recht auch politisch zu schützen ist.
Theologisch besteht der Sinn des Militärs also im Schutz von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit vor äußeren Feinden. Das umfasst den Schutz der Menschen, die im eigenen Land leben (und womöglich auch anderswo), vor willkürlicher Gewalt – aber nicht pauschal den Schutz der "deutschen Kultur" oder bloß der Deutschen. In der gegenwärtigen Lage finde ich eine Stärkung der Bundeswehr sinnvoll – solange auch die Verpflichtung zur Friedensarbeit mit zivilen Mitteln (z.B. Entwicklungshilfe) sehr ernstgenommen wird!
Das Gerechtigkeitsproblem der Freiwilligenarmee
Was soll die Bundesregierung also tun, um den deutschen Bündnisverpflichtungen nachzukommen und die Bundeswehr in ausreichender Stärke aufzustellen? Welche Gefahren sind hier zu beachten?
In Großbritannien hat die Armee verschiedentlich ihre Werbekampagnen bewusst auf die Arbeiterklasse zugeschnitten. In dieser sozialen Schicht finden sich weniger die Bücherwürmer. Vielmehr herrscht eine Jugendkultur, in der es um Nervenkitzel und Adrenalin geht. In den USA beeinflussen auch die materiellen Anreize, die die Rekruten während und nach ihrem Dienst erhalten, die Entscheidung – besonders in Schwarzen Familien, die stärker ökonomisch benachteiligt sind.
Auch die Bundeswehr hat in den letzten Jahren verstärkt z.B. auf Kraftsport- und Automessen geworben. Da Soldaten aber schlimmstenfalls mit dem Leben bezahlen, ist eine ungleiche Anwerbung verschiedener sozialer Schichten sehr problematisch. Da wäre es mir lieber, man erlaubt der Bundeswehr Informationsveranstaltungen an Gymnasien, wo Jugendliche ohnehin zum kritischen Denken erzogen werden.
Rechtslastige Bundeswehr?
Doch auch in denjenigen Fällen, in denen der ökonomische Faktor nicht ausschlaggebend ist, findet die soziale Durchmischung der Rekruten nicht statt, die man sich für die Streitkräfte einer pluralistischen Demokratie wünscht. Wenn es sich bei den Soldaten um einen breiten Querschnitt aus der Gesellschaft handelt, wird auch aus der Armee nicht so leicht ein "Staat im Staate". Das war dagegen in der Weimarer Republik der Fall. Nach dem Ersten Weltkrieg wollten die Alliierten einen deutschen Militärstaat vermeiden und untersagten eine allgemeine Wehrpflicht – mit dem Resultat, dass die Reichswehr einseitig auf den Schultern rechtskonservativer Kreise ruhte, die Hitlers Aufstieg zum Diktator oft mit Wohlwollen begleiteten.
Ein ähnliches Problem kann entstehen, wenn die Bundeswehr weiterhin konsequent den Weg der Freiwilligenarmee beschreitet. Die Faszination mit Disziplin, Waffen, Gehorsam und dem Vaterland lockt bereits jetzt eher Menschen mit klar rechtskonservativen Überzeugungen an, und letztes Jahr wurden mehrere rechtsextremistische Skandale aus der Bundeswehr bekannt. Zuletzt waren die Zahlen von rechtsextremistischen Verdachtsfällen zwar rückläufig, doch bei den Terrorismus-Ermittlungen im Reichsbürger-Milieu Anfang dieses Jahres fielen ehemalige und gegenwärtige Mitglieder der Bundeswehr auf, die der Bundesrepublik feindlich gegenüberstanden und gerne mit Waffen hantierten. What could go wrong?
Die falsche Botschaft
In dieses Schema passt auch die Werbung, die die Bundeswehr für einen neuen Freiwilligendienst geschaltet hat. Hier wirbt die Bundeswehr um Freiwillige, indem sie nicht etwa zur Verteidigung von Demokratie, Rechtsstaat und Pluralismus aufruft. Vielmehr beschwört sie den Heimatschutz: "Unser Wir braucht mehr von Dir. Schütze unsere Heimat. Wenn wir dich stark machen, machst du ein ganzes Land stark. Schütze unsere Heimat. Erlebe Kameradschaft. Mit dem neuen Dienst in deiner Region. Zusammenhalt in Deutschland beginnt bei dir."
Zwar unterhält die Bundeswehr reguläre "Heimatschutzkompanien", die ich nicht der Rechtslastigkeit verdächtigen will. Dennoch ist "Heimatschutz" ein völkisches bis faschistoides Schlagwort. Damals unterstand der slowakische "Deutsche Heimatschutz" der SS; der österreichische "Heimatschutz" war eine faschistoide Bewegung; und bei den Gruppierungen "Fränkischer", "Thüringischer" und "Märkischer Heimatschutz" handelt(e) es sich um rechtsextremistische bis neonazistische Netzwerke.
Gerade angesichts des gegenwärtigen Rechtsschwunges in der deutschen politischen Diskussion – mit hohen Umfrageergebnissen für die AfD – bedeutet eine strikte Freiwilligenarmee eine politische Gefahr für die Bundesrepublik. Sie spricht eher solche rechten Kreise an, die dem eigentlichen Sinn der Bundeswehr distanziert gegenüberstehen, nämlich dem Schutz von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Pluralismus gegen äußere Feinde.
Allgemeine Wehrpflicht?
Das bedeutet aber nicht, dass wir wieder eine allgemeine Wehrpflicht einführen sollten. Sie wäre zwar laut Verfassung rechtlich möglich und würde die Zahl der Soldaten nach oben bringen. Doch die Wehrpflicht ist ungerecht, weil letztlich doch nur ein kleiner Teil der Gemusterten eingezogen würde. Dieses Problem der Ungleichbehandlung war schon seit den Sechzigern ein wesentliches Problem der deutschen Wehrpflicht, als das Militär proportional größer war und Frauen gar nicht an der Waffe dienten. Als man 2010 die Ungleichbehandlung mildern wollte und die Wehrpflicht auf sechs Monate herabsetzte, bedeutete das im Grunde schon die Abschaffung der Wehrpflicht, die im Jahr darauf eintrat. Doch selbst eine Dienstzeit von einem Jahr dürfte ineffizient sein.
Außerdem mahnte ein früherer Bundespräsident, Roman Herzog: "Die Wehrpflicht ist ein so tiefer Eingriff in die individuelle Freiheit des jungen Bürgers, dass ihn der demokratische Rechtsstaat nur fordern darf, wenn es die äußere Sicherheit des Staates wirklich gebietet." Dass die derzeitige Sicherheitslage so ernst ist, kann ich im Augenblick nicht finden.
Ausblick
Sowohl der Ansatz einer strikten Freiwilligenarmee als auch die Wehrpflicht bereiten Probleme. Besonders die Gefahr, dass die Bundeswehr eine rechte Schlagseite entwickelt – oder sie noch stärker ausprägt –, finde ich bedenklich. Deshalb finde ich den Vorschlag der Wehrbeauftragten einen guten Mittelweg: Die Bundeswehr sollte das Musterungsverfahren wieder einführen, um schließlich eine verpflichtende Musterung ganzer Jahrgänge durchzuführen. Dabei wären die Schulabgänger aber nicht zum Dienst verpflichtet. Der Weg ins Militär wäre ihre freie Entscheidung. Doch mit der Musterung würde man diese Wahl überhaupt erst wieder aufs Tapet bringen, denn bisher stellt sich die Frage den meisten Menschen gar nicht.