Der ehemalige Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch ordnete sich Mitte April in die Reihe ehemaliger Bischofsgrößen ein, die durch ihren mangelhaften Umgang mit Missbrauchsfällen öffentlich in der Kritik stehen: Zollitsch, der von 2003 bis 2013 Erzbischof von Freiburg war, soll einem Missbrauchsbericht zufolge erst ganz am Ende seiner Amtszeit wegen des steigenden medialen Drucks Missbrauchsfälle nach Rom gemeldet und damit kirchenrechtliche Untersuchungen verschleppt haben.
Von 2008 bis 2014 war er zugleich Vorsitzender der katholischen Deutschen Bischofskonferenz. 2010 hatte er sich noch empört gegen öffentliche Rügen der damaligen FDP-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zur Wehr gesetzt - mit Erfolg.
Zollitschs Agieren sei "in dieser Dimension der Verweigerung verstörend und ein weiteres Beispiel dafür, dass Kirche sich nicht alleine aufarbeiten kann", sagt die Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Kerstin Claus. Ähnlich sieht das auch der religionspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Lars Castellucci, der seit Jahren mehr staatliche Verantwortung bei der Aufarbeitung von Missbrauch fordert. Er sagt aber auch: "Wir brauchen keine Kultur des Hindeutens, sondern eine Kultur des Hinsehens."
Kirchen wünschen sich Hilfe vom Staat
Auch den Kirchen sei mittlerweile klar geworden, dass sie nicht Ankläger, Verteidiger und Richter in einem sein könnten, sagt der SPD-Politiker. Mittlerweile wünschen sich die Kirchen Hilfe vom Staat bei der Aufarbeitung. Die Deutsche Bischofskonferenz etwa arbeitet derzeit an einem neuen Expertenrat, der die Einhaltung der kirchlichen Regeln zur Aufarbeitung überprüfen soll. In dem Gremium sollen Vorstellungen der Bischofskonferenz zufolge auch staatliche Vertreter sitzen.
Auch wenn es einen politischen Konsens in der Ampel-Koalition gebe, dass der Staat bei der Aufarbeitung insgesamt mehr Verantwortung übernehmen müsse, sei dies dennoch eine Gratwanderung, sagt Castellucci. "Wir können und wollen den Institutionen ihre Pflicht zur Aufarbeitung nicht entziehen, nur wer aufarbeitet, lernt aus Fehlern und kann Missbrauch in der Zukunft vorbeugen. Aber der Staat muss Kriterien definieren, wie Aufarbeitung stattfinden kann."
Institutionen zu Transparenz verpflichten
Die Unabhängige Beauftragte Claus arbeitet zusammen mit dem Familienministerium, bei dem ihr Amt angesiedelt ist, an einem neuen Gesetz. Ihr 2018 geschaffenes Amt soll auf eine dauerhafte, gesetzliche Grundlage gestellt werden. Vorgesehen ist auch eine Berichtspflicht gegenüber dem Bundestag und die Entfristung der Unabhängigen Aufarbeitungskommission.
Dem Abgeordneten Castellucci schwebt sogar eine Ausweitung der Kompetenzen der Aufarbeitungskommission vor. Sie soll Kirchen und andere Institutionen zu transparenten Aufarbeitungsprozessen nach vergleichbaren Kriterien verpflichten können, wie er im April in einem Online-Beitrag für das Magazin "zeitzeichen" schrieb. Dafür soll die Kommission nach seiner Vorstellung mit eigenen Zugriffs-, Anhörungs-, und Sanktionsrechten ausgestattet werden.
Die Kommission soll nicht wie bisher beim Amt der Missbrauchsbeauftragten, sondern beim Bundestag angebunden werden. Eine solche Kommission soll den Plänen zufolge eine bereichsübergreifende Dunkelfeldstudie in Auftrag geben können, die Fallzahlen und systemische Faktoren untersucht, ebenso wie Kriterien für die Entschädigung von Missbrauchsbetroffenen festlegen.
Laut Claus ist eine staatliche Kommission auf Bundesebene mit weitgehenden Durchgriffsrechten jedoch juristisch kaum machbar. Dem Bund fehle dazu auch nach Meinung von Staatsrechtlern die Regelungskompetenz. Die Idee einer neuen staatlichen Kommission stehe zudem im Widerspruch zu bestehenden Strukturen, sagt sie. Die Aufarbeitungskommission bei ihrem Amt sei seit 2016 die Stelle, die Betroffene anhört und ihre Anliegen gesellschaftlich sichtbar mache. Und dies unabhängig vom jeweiligen Tatkontext.
Seit 2010 sei bereits viel geschehen, stellt Castellucci fest. Doch bleibe noch viel zu tun. Die Kirchen hätten noch immer die Chance, als Institutionen, die besonders im Fokus stünden, einen beispielgebenden Prozess zu gestalten, der dann auch Sportverbände oder Bildungsinstitutionen in Zugzwang bringe.