Dörte Hansen: Zur See
Roman über die sich wandelnde Welt einer Insel und ihrer Menschen.
Eine Insel in der Weite der Nordsee - ein kleines Stück Land inmitten des Ozeans, gezeichnet von einer gewaltigen Natur und geprägt von den Menschen, die dort aufeinandertreffen: die Einheimischen, die sich an die alten Zeiten der Walfängerei und der kulturellen Eigenständigkeit erinnern, sowie die Urlaubsgäste mit ihren Ansprüchen und romatischen Vorstellungen der Inselwelt. So wie die Insel sich in einem fließenden Übergang von Meer und Land bewegt, so schwingen auch die Menschen hin und her zwischen Wasser und Sand, zwischen Loslassen und Festhalten, Untergang und festem Grund - die Kapitänsfrau, der Inselpastor, die Fischer, die Enkel der Walfänger... Es ist ein Leben, das immer wieder in Gefahr gerät, zu versinken oder zu stranden.
Dörte Hansen beschreibt die "Gezeiten" ihrer Protagonisten psycholgisch tiefgründig, nahezu sezierend, und verwendet dabei eine wort- und bildgewaltige, kunstvolle Sprache. Aktuelle Gegenwartsliteratur zur bedrängenden Frage der eigenen Existenz - nicht leichtfertig, aber gut zu lesen.
Anne Rank
Hansen, Dörte: Zur See. Roman. München: Penguin 2022. ISBN 978-3-328-60222-4, gebunden, 24 Euro
Tamar Noort: Die Ewigkeit ist ein guter Ort
Was passiert, wenn all das, an was du einmal geglaubt hast, noch möglich ist, aber für dich nicht mehr richtig erscheint?
Nichts geht mehr in Elkes Leben. Dabei schien lange klar, dass sie nach ihrem Theologiestudium Pastorin wird und ihr Vater wünscht sich nichts mehr, als dass seine Tochter seine Gemeinde übernimmt. Plötzlich stellt sich bei Elke aber eine "Gottdemenz" ein: Sie vergisst Teile des Vaterunsers, muss einen Gottesdienst abbrechen und fühlt im Gebet nur noch eine große Wut. Schnell wird dem Leser klar, dass in Elkes fiktivem Heimatort Edena, der an einem See liegt, etwas passiert ist, was die Ich-Erzählerin nun nach Jahren einholt. Trotz der Unterstützung ihres Freundes Jan verliert Elke immer mehr die Orientierung, findet aber zeitweise Halt bei Lukas und Kari, die Artisten einer Motorradshow sind und an einer Steilwand fahren. Beim Mitfahren fühlt sie sich endlich wieder lebendig, gerade weil es so gefährlich ist. Auch, wenn es hier um eine angehende Pastorin geht, steht der Glaube nicht allein im Fokus des Romans. Es geht vielmehr um die Frage, was uns im Leben Orientierung gibt. Das muss Elke in diesem metaphernreichen und unterhaltsamen Roman von Tamar Noort mühsam herausfinden.
Marie Varela
Noort, Tamar: Die Ewigkeit ist ein guter Ort. Roman. Hamburg: Kindler 2022. ISBN 978-3-463-00034-3, gebunden, 22 Euro
Dieter Wellershoff: Der Himmel ist kein Ort
Ein Verkehrsunfall, als Notfallseelsorger miterlebt, wird für einen Pastor zum Katalysator eigener Glaubenszweifel.
Ein tödlicher Unfall mit unklarer Schuldfrage, der in einem kleinen norddeutschen Ort zahlreiche Spekulationen und Gerüchte aufkochen lässt, beunruhigt den jungen evangelischen Pastor Hendrichsen. Seine Unsicherheit, wie er als Seelsorger mit der Situation umgehen soll, bringt latent vorhandene Glaubenszweifel an die Oberfläche. Weder in akademisch-theologischen Diskussionen noch in einer persönlichen Beziehung findet Hendrichsen widerspruchsfreie Antworten auf die Frage nach seiner Rolle als Prediger und Seelsorger. – Der Roman nimmt die Lesenden mit hinein in die Suchbewegungen des Pastors Hendrichsen. Insbesondere dessen zwiespältige Rolle in der durch den Unfall aufgewühlten Dorfgemeinschaft wird sehr gut vermittelt.
Birgit Schönfeld
Wellershoff, Dieter: Der Himmel ist kein Ort. Roman. Köln: Kiepenheuer und Witsch 2009. ISBN: 978-3-462-04134-7, gebunden, 19,95 Euro