Die Hintergründe dieses "Tatorts" aus Zürich sind derart komplex, dass die Handlung ständig stoppt, damit sich die Ermittlerinnen gegenseitig den Fall erläutern können. Es geht um Geldwäsche in großem Stil, und weil es enormen Erklärungsbedarf gibt, klingt der Krimi zwischenzeitlich wie ein Podcast.
Die Mafia, heißt es, hat bei ihrer Suche nach neuen Wegen der Geldwäsche für ihre vielen Milliarden aus Drogen-, Waffen- und Menschenhandel eine raffinierte Methode gefunden: Sie investiert die Erlöse über einen Fonds in die Immobilien einer Region, in der auch die Entwicklungshilfe stark engagiert ist. Als Deckmantel fungiert eine karitative Organisation, die Kleinkredite vergibt. Die wiederum werden durch einen Versicherungskonzern gesichert. Dadurch gilt die jeweilige Region als stabil, die Immobilienpreise steigen, alle profitieren; so garantieren die Hilfsprojekte, wie Staatsanwältin Wegenast (Rachel Braunschweig) schließlich verbittert feststellt, dass die Reichen noch reicher werden.
Ein großes Thema; und im "Tatort"-Rahmen kaum zu erzählen. An dieser Hürde scheitern ohnehin viele Wirtschaftskrimis: Solche Stoffe lassen sich nicht in Handlung umsetzen, sie funktionieren nur über den Dialog, weshalb es einer besonderen Drehbuchqualität bedarf, die unvermeidlichen Ausführungen nicht wie eine Vorlesung wirken zu lassen. Diesen Nachweis ihrer Klasse bleiben Claudia Pütz und Karin Heberlein schon mal schuldig: Wegenast sowie die Ermittlerinnen Tessa Ott und Isabelle Grandjean (Carol Schuler, Anna Pieri Zuercher) bekommen Nachhilfe in Sachen Mafia durch einen Spezialisten von der "FedPol", der Schweizer Bundespolizei. Der Kollege gibt sein Bestes, um das Geflecht nachvollziehbar zu entwirren, aber die Gemengelage bleibt dennoch kompliziert, obwohl die Autorinnen das Thema letztlich bloß oberflächlich behandeln. Um die Materie wirklich zu durchdringen, hätten sie viel mehr ins Detail gehen müssen, was jedoch zeitlich gar nicht möglich ist, denn überraschenderweise erzählt "Seilschaft" eine ganz andere Geschichte, die mit der Mafia nur am Rande zu tun hat.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Allerdings wirkt auch diese Ebene etwas aufgemotzt, denn die Morde, um die es geht, sollen offenkundig aus dem gewohnten Krimirahmen fallen: Nach einem Spendenabend wird der britische Moderator in seinem Hotelzimmer ermordet. Die Tatwaffe, ein Bolzenschussgerät, ist ebenso ungewöhnlich wie die Tatsache, dass dem Mann fünf Zehen abgeschnitten worden sind. Der Grund dafür bleibt offen. Die Körperteile werden zwar kurz drauf per Post dem Organisator der Internationalen Entwicklungskonferenz, Dominic Mercier (Leonardo Nigro), zugestellt, aber ein kleiner Finger hätte es sicherlich auch getan.
Dass ausgerechnet seine neugierige kleine Tochter das Päckchen öffnet, macht die Sache selbstredend nicht besser. Mercier leitet jenen Hedgefonds, der sein Geld in den Entwicklungsländern investiert, und arbeitet eng mit Opfer Nummer zwei zusammen, dem Geschäftsführer des Versicherungskonzerns. Der Mann wird beim Rudern mitten auf dem Zürichsee umgebracht und anschließend auf eine Weise zur Schau gestellt, die fast schon künstlerische Ansprüche erfüllt.
Die dritte Tat passt dagegen überhaupt nicht ins Bild, ist jedoch ähnlich um Originalität bemüht: Die Leiterin eines Jugendheims stirbt an einem auf perfide Weise ausgelösten allergischen Schock. Entscheidendes Detail ist jedoch nicht die spezielle Raupenart, die bei diesem Mord eine besondere Rolle spielt, sondern die beiden teuren Uhren, die das Opfer an seinen Handgelenken trägt. Diese Spur führt zwar wieder zu Mercier, aber was die Heimleiterin ansonsten mit ihm zu tun hat, bleibt zunächst völlig offen, ebenso wie die Tatsache, warum die Autorinnen ihr Drehbuch nicht auf diesen Teil der Geschichte konzentriert haben. Natürlich hätten sie dann auf den spektakulären Hintergrund verzichten müssen, doch dann hätte "Seilschaft" vermutlich weniger prätentiös gewirkt.
Neben den vielen Informationsdialogen trägt auch die Umsetzung nicht gerade zur Spannung bei: Tobias Ineichen hat den Krimi ohne jeden Nervenkitzel inszeniert. Sehenswert ist allerdings die sehr sorgfältige Bildgestaltung, zumal Kameramann Michael Saxer gerade bei den Nachtaufnahmen ein oft eindrucksvolles Spiel mit Licht und Schatten gelingt. Inhaltlich jedoch wird der Zürcher "Tatort" erst spannend, als wie aus dem Nichts ein vor zwei Jahren aus dem Heim verschwundenes Mädchen (Rabea Egg) wieder auftaucht und sich rausstellt, dass die rätselhafte Botschaften rund um die Taten Tessa Ott gelten.