Kleines Sternchen, großer Streit: Wer gendert, erntet Applaus und Buhrufe. Doch nicht nur geschlechtergerechte Sprache ist ein Zankapfel, Geschlechterstudien und Feminismus haben es laut der in Hamburg lebenden Genderforscherin Stevie Schmiedel wegen festgefahrener Standpunkte insgesamt zunehmend schwer in Deutschland. Mit ihrem neuen Buch "Jedem Zauber wohnt ein radikaler Anfang inne. Warum uns ein bisschen Genderwahn guttut" wolle sie alle Menschen an einen Tisch holen und dazu einladen, "die Thematik ruhiger, freundlicher und niedrigschwelliger zu erklären".
Die deutsche Sprache stammt laut Schmiedel aus Zeiten des Patriarchats, in denen Frauen als Subjekte nicht vorkamen. Heute zeigten Gendersternchen bzw. -doppelpunkt, dass es neben Männern auch Frauen sowie Geschlechter dazwischen gebe.
Dass es insbesondere zwischen Alt und Jung zu Konflikten kommt, wundert Schmiedel nicht: "So vehement, wie die Jugend bei Gender-Themen vorgeht, können Ältere schon mal Angst haben und sich nicht respektiert fühlen", sagt sie.
Juniorprofessor Lars Vorberger vom Institut für Germanistik an der Uni Hamburg erwähnt in Bezug auf Ältere und Sprache den Gewohnheitsaspekt: "Es gibt auch heute noch ältere Menschen, die 'dass' mit 'ß' schreiben."
Dass sich Geister unabhängig vom Alter am Gendern scheiden, hat für Vorberger zwei Gründe. Der Erste lautet: "Sprache hat ganz viel mit Identität zu tun und weckt somit auch emotionale Reaktionen. Deswegen sind Debatten über Sprache häufig polarisierend."
Zweiter Aspekt sei, dass es vielen Menschen anstatt um Sprache in Wirklichkeit um etwas anderes gehe: "Vielen der Gegner:innen von geschlechtergerechter Sprache geht es allgemein um gesellschaftliche Entwicklungen. Sie sind gegen die Anerkennung geschlechtlicher und sexueller Vielfalt, und das manifestiert sich dann in so einem sprachlichen Sonderzeichen wie dem Stern oder dem Doppelpunkt." Grund hierfür sei, dass diese Zeichen im Gegensatz zur gesellschaftlichen Entwicklung "so schön greifbar" seien.
Umfragen zufolge lehnt noch immer die Mehrheit der Deutschen die gendergerechte Sprache ab. Darauf habe auch der Rat für deutsche Rechtschreibung hingewiesen, weshalb sie faktisch zustimmen würde, dass zumindest öffentlich-rechtliche Medien eigentlich nicht gendern dürften, erklärt Schmiedel. "Ein Kompromiss könnte darin bestehen, wenigstens im Fernsehen nur in subjektiven Kommentaren zu gendern, in objektiven Nachrichtenmeldungen aber nicht."
Vorberger betrachtet solche Umfragen mit Skepsis: Er glaube nicht, dass die Mehrheit gegen Gendern sei, eher sei sie "gegen die ganz progressiven Ausprägungen" wie Stern oder Doppelpunkt. Dagegen akzeptierten viele Menschen Doppelformulierungen wie "Bürgerinnen und Bürger". Das sei ebenfalls geschlechtergerechte Sprache, wenn auch dem binären Mann-Frau-System verhaftet.
Er halte Aufklärung für das Wichtigste. Und zwar darüber, dass geschlechtergerechte Sprache viel mehr sei als ein Sonderzeichen. Menschen müssten den Sinn und Nutzen des Genderns erkennen.
Stevie Schmiedel war als junge Frau zunächst gegen das Gendern. Erst als ihre eigene Tochter sie dafür kritisiert habe, dass sie von "Erziehern" sprach, obwohl fast alle gemeinten Personen weiblich waren, sprang bei ihr der Schalter um - seitdem gendert auch sie.
Infokasten:
Es gibt zahlreiche Universitäten, die Geschlechterforschung betreiben. Auch die EKD hat ein eigenes Institut für Genderfragen und klärt aus theologischer Sicht über das Thema auf. Hier ein Video dazu:
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Es geht in dieser Gender-Diskussion nicht nur darum, ob Geschlechter grammatikalisch genannt werden, sondern um das Rollenverständnis der Geschlechter. Dass Frauen und Männer gleichberechtigt sind, übrigens auch Homosexuelle oder trans Menschen. Dass Frauen in allen Belangen gleichberechtigt sind und nicht vom öffentlichen Leben ausgeschlossen werden, wie in früheren Jahrhunderten der Fall war. Konservative Positionen unterstellen häufig, dass Mädchen nicht mehr Mädchen sein können oder dass es keine Geschlechter mehr geben soll. Das ist falsch.
Der Theologe Prof. Thorsten Dietz von der Universität Bern kritisiert die Anti-Gender-Kritik. Sie sei häufig "unterkomplex" und "kämpfe eigentlich gegen Pappkameraden", sagt er im EKD-Video. Es geht seiner Ansicht nach darum, sich in der Kirche gemeinsam auf einen Weg zu begeben, der nicht Menschen ausschließe oder sie diskriminiere. Sondern es gehe darum, dass Menschen nicht beschädigt werden. Es geht um das Rollenverständnis der Geschlechter. Dass Frauen und Männer gleichberechtigt sind, auch Homosexuelle oder trans Menschen.
Über Anti-Gender, Feminismus & co: Handreichung der EKD zum Download