Roland Stimpel ist Vorstand des Vereins FUSS e.V., der den Anspruch erhebt, mehr als 80 Millionen Fußgänger in Deutschland zu vertreten. Der permanente Druck auf die Bundesregierung trage nun endlich Früchte, sagt er im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).
epd: Herr Stimpel, Sie ziehen ein positives Fazit des Kongresses. Was bringt Sie dazu?
Roland Stimpel: Die Vertreterinnen und Vertreter des Bundesverkehrsministeriums haben glaubhaft erklärt, dass das Thema Fußverkehr bei ihnen angekommen ist. Sie haben bis zum Sommer eine Fußverkehrsstrategie angekündigt, die mit der erfolgreichen Radverkehrsstrategie vergleichbar sein soll.
Was ist der Kern Ihrer Forderungen für die neue Verkehrsstrategie?
Stimpel: Ein Beispiel: Die Straßenverkehrsordnung hebt bisher vor allem auf die Sicherheit und Leichtigkeit des Autoverkehrs ab. Sie muss dringend um die Ziele Klimaschutz, Stadtentwicklung und Barrierefreiheit ergänzt werden. In dem Rahmen müssen die Kommunen das Recht bekommen, Tempo 30 einzuführen, wo sie es für richtig halten. Mehr als 500 Städte und Gemeinden in Deutschland fordern das bereits.
Bisher ist Tempo 30 fast nur in Nebenstraßen möglich - aber nicht auf den Straßen, wo die Luft am schlechtesten ist und am meisten Unfälle passieren. Leider erweist sich der Bundesverkehrsminister der FDP in diesem Punkt überhaupt nicht als liberal, sondern als Verbotsminister. Er bevormundet die Kommunen und hält am überholten Zentralismus bei den Tempolimits fest.
Eine nationale Strategie, kommunale Beauftragte, Fußverkehrsforschung an den Unis - warum braucht es das überhaupt für eine einfache Sache wie das Zu-Fuß-Gehen?
Stimpel: Mehr als 80 Millionen Menschen in Deutschland gehen zu Fuß. Es ist ein klimafreundliches Verkehrsmittel, das wir viel stärker fördern müssen. Beim Radverkehr, der ebenfalls lange unterschätzt war, passiert das schon. Der bundesweite Radverkehrsplan von 2009 war ein Meilenstein. Genauso muss auch der Fußverkehr mehr politisches Gewicht bekommen. Im Übrigen gibt es dafür einen einfachen demografischen Grund: Die beiden Gruppen, die am meisten zu Fuß gehen, sind Schulkinder und Menschen im Rentenalter. Und der Anteil der Älteren an der Bevölkerung nimmt zu.
"Mehr als 80 Millionen Menschen in Deutschland gehen zu Fuß. Es ist ein klimafreundliches Verkehrsmittel, das wir viel stärker fördern müssen"
Was ist das größte Ärgernis für Fußgänger in der Stadt?
Stimpel: Das sind zu schmale Gehwege, die dann auch noch zugestellt werden. Die Fahrbahn einschließlich der Parkplätze ist heilig. Aber der Gehweg wird zur Resterampe, da darf alles hin: Außenplätze für die Gastronomie, Ladesäulen für Elektroautos, parkende E-Scooter, Mülltonnen.
Dagegen hilft nur eine Null-Toleranz-Strategie: Fußwege müssen frei bleiben, wenn genauso gut der Fahrbahnrand genutzt werden kann. Für die Außengastronomie zum Beispiel lassen sich Parkplätze umwidmen, wie es München und Berlin bereits praktizieren. Und für E-Scooter müssen feste Abstellplätze abseits der Gehwege eingerichtet werden. In meiner Heimatstadt Berlin gibt es schätzungsweise 50.000 E-Scooter zum Verleihen. Wenn die nicht auf den Fahrbahnen unterwegs sind, stehen sie dort im Weg, wo Menschen zu Fuß gehen wollen.
Was stört noch im Fußverkehr?
Stimpel: Es gibt in der Stadt kein Gehwegenetz, sondern nur Stummel. Alle 100 oder 200 Meter hört der Gehweg auf, und es muss eine Fahrbahn überquert werden. Hier brauchen wir mehr Sicherheit für Fußgänger, etwa durch Zebrastreifen. Oder noch besser: Die Fußwege ziehen sich durch und der Verkehr auf der Fahrbahn muss eine Schwelle überwinden.
Wo in Europa läuft es gut für den Fußverkehr?
Stimpel: In Paris ist eine glückliche Mischung gelungen. Das Flanieren auf den Boulevards hat Tradition, und es wird einiges getan, um Fußgängern den Weg freizumachen. Zum Beispiel gibt es vorgeschriebene Abstellplätze für E-Scooter. Diese Regelungen werden auch kontrolliert, Verstöße kosten bis zu 135 Euro. Dadurch sind die Bedingungen für Fußgänger relativ gut.
(Anm. d. Red.: Die Pariser Bevölkerung hat mittlerweile für ein Verbot der E-Scooter im Stadtgebiet gestimmt.)