Selten geht eine Ausstellung über den Tod dermaßen unter die Haut und ans Eingemachte wie derzeit im Berliner Humboldt Forum. Da ist allein schon der Gang in enge Einzelkabinen, in denen die Sterbephasen beschrieben werden. Eine einfühlsame Frauenstimme spricht im Halbdunkel die Besucher direkt an.
"Du befindest Dich in einem Dämmerzustand und hast kein Gefühl mehr für Zeit. Deine Hände und Füße werden kalt…" Das, was jedem und jeder bevorsteht, wird hier in wenigen Minuten zusammengefasst, die dann aber in der direkten Konfrontation fast wie eine halbe Ewigkeit wirken: "Nach und nach versagen Deine Organe. Es folgt das Todesrasseln. Du schnappst nach Atem. Du atmest Dein letztes Mal…"
Es geht nicht darum, Angst vor dem Sterben zu machen. Aber eben auch nicht darum, einfachen, vielleicht sogar billigen Trost zuzusprechen. Es geht darum, sich klar zu werden, wie es endet. Zumindest soweit man das bis heute weiß.
"Eine oder zwei Minuten später, eine gefühlte Ewigkeit breitet sich in Deinem Gehirn eine Welle der Entladungen aus. Botenstoffe fluten Dich. Du kennst Sie vom Verlieben, Sport oder Sex: Noradrenalin, Serotonin, Dopamin. Sie lindern Schmerz und steigern Gefühle wie Geborgenheit, Glück und Euphorie. Das letzte große Feuerwerk. - Jetzt bist Du tot!"
Dinge, die bleiben
Was danach kommt, bleibt Spekulation. In mehreren Hör- und Video-Zelten äußern sich Vertreter von Religionen und Weltanschauungen. Alle Kulturen haben immer schon versucht, sich dem Tod philosophisch-religiös, künstlerisch oder spirituell, in Heiligen Schriften und Ritualen zu nähern. Bis heute geht es darum, das Unerklärliche fassbar und das Unerträgliche erträglich zu machen.
Hindus etwa glauben, dass dasjenige in uns, das bewusst ist – der Geist oder die Seele oder das Selbst – ein wesentlicher Teil des Universums sei: "Es ist ungeboren, ewig, beständig und uralt. Es wird nicht getötet, wenn der Körper getötet wird", erläutert die Bhagavad Gita, einer der wichtigsten Texte im Hinduismus.
Tieferes Verständnis vom Leben
Die jüdische Kantorin Esther Hirsch sagt im Audio: "Wir sind aus Erde und wir werden auch wieder zu Erde. Und die Seele wird auch wieder zurückgehen, woher sie gekommen ist, nämlich zu Gott. Das spiegelt sich auch in unserem Morgengebet wider, wenn wir sagen: Danke, dass Du mir meine Seele nach der Nacht wiedergegeben hast. Weil die Vorstellung ist, dass in der Nacht die Seele für kurze Zeit von uns genommen wird und wir sie am Morgen wieder erhalten."
Eine evangelische Gemeindepfarrerin versucht tröstliche Worte zu finden: "Frieden und Tod gehören für mich zusammen. Der Friede besteht darin, angesichts des Todes ein tieferes Verständnis vom Leben zu gewinnen. Ich glaube, dass wir durch die Erfahrung von Sterben und Tod Mensch werden. Das hat für mich etwas mit Ganzwerdung zu tun und in dem Sinne mit Frieden. Ich stelle mir vor, dass wir am Ende so etwas erleben wie eine Schau. Wir verstehen, warum es so gewesen ist, wie es gewesen ist."
Sterbebegleitung - eine Errungenschaft
Aber auch Religionsskeptiker kommen zu Wort. Ein Kryoniker etwa lässt sich bei minus 196 Grad Celsius einfrieren, weil er statt an einen Gott oder ein kosmisches Seelen- und Reinkarnationsprinzip lieber an ein irgendwann mögliches Weiterleben glaubt.
Aber fällt das Sterben mit Religion einfacher? "Nein, das kann man nicht generalisieren. Manchmal werden auch glaubende Menschen von ihren Zweifeln, ihren Sünden, ihrer Angst überwältigt", sagt Kurator Marc Wrasse. "Es ist nicht so, dass glaubende Menschen immer einfacher sterben. Man kann getröstet sterben. Man kann auch alt und lebenssatt sterben und sich sanft und zufrieden verabschieden - auch ohne die Jenseitsperspektive", so Wrasse, der auch evangelische Theologie und Philosophie studiert hat.
Klar ist nur, dass niemand allein sterben sollte. Die Begleitung von Sterbenden ist eine zivilisatorische Errungenschaft. Auf einer Bildschirm-Wand äußern sich abwechselnd mit Untertitelung 12 Sterbebegleiter aus allen Kontinenten.
Zur letzten Reise bereitet
Eine Sterbebegleiterin aus Singapur etwa sagt, dass es ein Privileg sei, den letzten Atemzug von Menschen miterleben zu dürfen. Ihre Kollegin aus der Karibik ergänzt, dass man sich nicht verstecken könne angesichts von Sterbenden und dass sie das an ihrer Arbeit schätze. Aus Südamerika heißt es: Jeder möchte dabei sein, wenn ein Baby geboren wird. Aber wenn jemand stirbt, würden viele die Flucht ergreifen. Das soll nicht sein! "Das ist eine Sterbekonferenz, a world death conference", sagt Kurator Marc Wrasse mit Stolz.
Der Tod hat seine eigene Würde, oder sollte sie zumindest haben. In einem steril wirkenden Medizinraum wird per Video-Projektion die Arbeit muslimischer Leichenwäscherinnen gezeigt. Sie sprechen verschiedene Gebete, bringen Riechsalze und Gewürze auf den toten Menschen auf. Dann wickeln sie den Leichnam in sein letztes weißes Tuch ein und verschnüren ihn mit weißen Bändern. So kann er bestattet werden.
Zentrale Fragen
"Hier erfolgt der letzte Liebesdienst. Wir waschen uns das ganze Leben selbst und am Ende werden wir gewaschen", erläutert Wrasse.
Im nächsten Raum hängen von der Decke große, weiße halbdurchsichtige Vorhänge. Dazwischen stehen weiße Wellnessliegen. Per Kopfhörer werden Fragen gestellt, die mit Ja oder Nein beantwortet werden müssen, um zur nächsten Frage zu kommen. Es sind Fragen, die bis ins Innerste gehen.
"Glaubst Du, wir haben eine Seele? Glaubst Du an ein Leben nach dem Tod? Glaubst Du an Auferstehung? Glaubst Du an Wiedergeburt? Hast Du einen Wunsch, in welcher Form Du wiedergeboren werden möchtest? Wartet nach dem Tod eine Belohnung oder Strafe auf Dich für Dein jetziges Leben?"
Direkte Ansprache überzeugt
In manchen Räumen gibt es dann doch Texttafeln, etwa zur Sterbestatistik auf der Welt. Wie hoch ist die Mütter- und Kindersterblichkeit in den jeweiligen Ländern? Dann wird die Geschichte des Universums erzählt. Der Tod kam erst mit den Einzellern in die Welt. Erst mit dem homo sapiens kam die Reflexion darüber.
Dann wird der Tod vieler Tierarten plastisch mit Exponaten aus dem Naturkundemuseum gezeigt. Wann steht hier der letzte homo sapiens, der sich irgendwann selbst ausgerottet hat? Oder es wird die politische Frage aufgeworfen, wieso Menschen bei ihrer Flucht auf dem Mittelmeer anonym sterben müssen. Einer Forensikerin versucht seit Jahren, die Identität der Toten vor Lampedusa aufzuklären.
Doch das sind Abstraktionsebenen, die vom eigenen Tod eher wegführen. Überzeugender wirkt die direkte Ansprache. In einem fast leeren dunklen Raum etwa kann man den Totengesängen der Welt lauschen und Ruhe finden. Der letzte Raum dann ist eine Art Bibliothek, die mit internationaler Todesliteratur ausgestattet ist.
Hier kann jede und jeder auf Sitzkissen in sich gehen, reflektieren, das Gespräch suchen. Oder sich entscheiden, noch mal zurückzugehen und sich die eine oder andere Frage erneut stellen und durch den Kopf gehen zu lassen. Eine Ausstellung also, für die man sich unbedingt Zeit lassen sollte.
Noch bis 26. November läuft im Berliner Humboldt Forum "un_endlich. Leben mit dem Tod". Der 200-Seiten-Begleit-Katalog ist erschienen beim E.A. Seemann Verlag Leipzig, 29,90 Euro, ISBN DE 978-3-86502-506-7