Zu Beginn wirft Wolf Jakoby diverse Puzzleteile in die Luft, die sich im Verlauf der Handlung auf scheinbar wundersame Weise zu einem Gesamtbild fügen. Ein besonderes Vergnügen bereitet dabei das Gespür für den richtigen Augenblick. Kaum denkt man sich: "Moment mal", weil im Kopf ein Fragezeichen aufpoppt, liefert der Film die passende Antwort.
Die Handlung beginnt mit einem Bankraub, der offenbar erst nicht nach Plan verläuft und dann in ein Fiasko mündet: Zwei Männer stürmen den Schalterraum, doch in der Kasse findet sich nur wenig Bargeld; also nehmen sie sich einige Schließfächer vor. Als eine Sicherheitsfrau zur Waffe greift, kommt es zum Schusswechsel. Die Frau stirbt, einer der Räuber wird verletzt. Der Fahrer des Fluchtwagens lässt den Komplizen zurück, nimmt aber seine Pistole mit. Zu einem Fall für Thomas Borchert (Christian Kohlund) wird die Angelegenheit, weil unversehens Anwaltsgehilfin Regula (Susi Banzhaf) darin verwickelt ist: Sie kennt den erst kürzlich aus der Haft entlassenen Fahrer, Eric Siehler (Sönke Möhring), aus gemeinsamen Jugendjahren. "Borchert und die alten Freunde" lautete der Arbeitstitel dieses siebzehnten "Zürich-Krimis"; die beiden verbringen die Nacht miteinander. Am nächsten Tag frühstücken sie in einem Café, Siehler geht noch mal in die Wohnung, kehrt jedoch nicht zurück; Regula findet ihn mit einem Messer in der Brust. Voller Panik verwischt sie ihre Spuren und macht sich aus dem Staub, in der Tasche ein Päckchen, das sie für ihn aufbewahren sollte: Es enthält die Waffe, mit der die Sicherheitsfrau erschossen worden ist. Natürlich kommt Hauptmann Furrer (Pierre Kiwitt) Regula alsbald auf die Schliche, und als sich schließlich rausstellt, dass sie vor fast vierzig Jahren gemeinsam mit Siehler und dessen Kumpel Lukschy (Milton Welsh) krumme Dinger gedreht hat, ist der Fall für ihn klar: Die Anwaltsgehilfin war die Fahrerin des Fluchtwagens und hat nicht nur Siehler, sondern den später ebenfalls ermordeten Lukschy auf dem Gewissen.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Für Borchert gibt es nur eine Möglichkeit, die Unschuld seiner Mitarbeiterin zu beweisen: Er muss den wahren Mörder finden. Das mag zunächst nach einer zwar interessanten, aber keineswegs unüblichen Krimistory klingen, doch nun kommt Jakobys Freude am Detail ins Spiel. Borcherts Teilhabe an der Geschichte beginnt mit einem Opernbesuch, es gibt Wagners "Lohengrin", und auch das ist selbstredend nicht willkürlich gewählt. Star des Abends ist der Tenor Niccoló Nardini. Vladimir Korneev hat nicht nur eine klassische Gesangsausbildung absolviert, sondern auch die passende Ausstrahlung für den kommenden Weltstar, doch mit dem weiteren Verlauf der Handlung hat Nardini erst mal nichts zu tun. Im Fußball würde man sagen: Der Trainer hat seinen besten Mann zum Aufwärmen geschickt, aber dann auf die Bank gesetzt, um dem Spiel mit seiner Einwechslung zur zweiten Halbzeit neue Impulse zu geben. Tatsächlich taucht Nardini exakt zur 45. Minute wieder auf, und plötzlich erzählt "Borchert und die Sünden der Vergangenheit" eine ganz andere Geschichte, die auf äußerst clevere Weise mit den bisherigen Ereignissen verknüpft ist; nun wechselt auch das Vorzeichen.
Zunächst ist der Film dank der vielen Szenen, in denen der dritte Mann (Andrei Viorel Tacu) Regula nach dem Leben trachtet, Thriller pur; dafür sorgt nicht zuletzt die Musik (Michael Klaukien). In der zweiten Hälfte wird auch Borcherts Kanzleipartnerin Dominique (Ina Paule Klink) zur treibenden Kraft. Eigentlich wollte der Anwalt die Kollegin raushalten, aber jetzt muss sie die Beziehung zu ihrem Freund Furrer riskieren, um Regula vor einem Indizienprozess zu bewahren, den das Trio vermutlich verlieren würde. Nun wandelt sich die Handlung dank Borcherts Nachforschungen zur klassischen Detektivgeschichte, in deren Verlauf die Puzzleteile nach und nach ein schlüssiges Bild ergeben; selbst ein harmloser Matinée-Flirt zu Beginn hat seine Bewandnis für die weitere Handlung. Die Umsetzung ist ohnehin exzellent, aber das gilt für alle "Zürich-Krimis" von Roland Suso Richter. Bereits der Banküberfall mit seinen vielen schnellen, aber nicht hektisch geschnittenen Perspektivwechseln ist bestes Thriller-Handwerk. Die Bildgestaltung oblag Max Knauer, mit dem Richter regelmäßig zusammenarbeitet; schon allein das Licht ist in vielen Szenen überaus kunstvoll.