Die jetzt von der Landeskirche vorgestellte Untersuchung beschäftigt sich mit Gewalt gegen Jungen im evangelischen Schülerheim Martinstift im niederrheinischen Moers in den 1950er Jahren. Dabei gehe es auch um die Auswirkungen der Gewalt des damaligen Leiters des Martinstifts, Johannes Keubler, hieß es.
Er wurde wegen körperlicher Züchtigung und sexuellen Missbrauchs der Schüler angezeigt, fristlos entlassen und 1956 vom Landgericht Kleve zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt.
Die zweitgrößte deutsche Landeskirche hatte die Bergische Universität Wuppertal und die Fachhochschule Potsdam mit dem Forschungsprojekt beauftragt. Nach Einschätzungen der Forscher waren etwa 80 Schüler von Übergriffen betroffen. Finanziert wurde die Studie von der Evangelischen Kirche im Rheinland, dem Kirchenkreis und der Kirchengemeinde Moers sowie dem Diakonischen Werk Rheinland-Westfalen-Lippe.
Die Gewalt gegen Jungen im Martinstift war der Untersuchung zufolge zwar noch von Haltungen des kurz zuvor zu Ende gegangenen NS-Regimes geprägt. Sie sei aber dennoch vergleichbar mit Konstellationen, die auch heute noch gewaltsames Verhalten von Pädagoginnen und Pädagogen gegenüber Kindern und Jugendlichen ermöglichen, hieß es.
Machtgefälle bleibt bestehen
Die Autoren der Studie kommen zu dem Schluss, dass trotz grundlegender Veränderungen in der Pädagogik seit den 1950er Jahren das Machtgefälle zwischen Schülerinnen und Schülern sowie Pädagoginnen und Pädagogen bestehen bleibt. Eltern überließen ihre Kinder auch heute noch Pädagogen im Vertrauen auf deren berufliche Fähigkeiten und persönliche Integrität.
Dieses Vertrauen nutzten Täter wie im Fall des Martinstifts aus, heißt es in der Studie. Daher komme es nach wie vor zu "Gewaltkonstellationen in institutionalisierten pädagogischen Kontexten". Die Verantwortung der Erwachsenengeneration für Kinder und Jugendliche sei ein Fundament aller pädagogischen Beziehungen. Diese könnten zu jeder Zeit missbraucht werden.
Nach dem Gerichtsurteil gegen Keubler habe der Träger des Martinstifts das Vergessen gefördert, und weder Kirche noch Diakonie hätten Interesse an den Betroffenen gezeigt, hieß es weiter. Das Image des Alumnats und der Diakonie habe nicht beschädigt werden sollen. Die Untersuchung der Verbrechen in dem Jungeninternat wurde erst aufgenommen, nachdem einer der Betroffenen 2019 Antrag auf Entschädigung gestellt hatte. Er sieht sich laut Studie für sein Leben von der Gewalt gezeichnet, die er im evangelischen Martinstift erlitten hat. So habe er kaum Vertrauen zu anderen Menschen fassen können.