Der Weltklimarat warnt vor einem sich schließenden Zeitfenster im Kampf gegen die Erderwärmung. Um die Zunahme der Temperatur auf 1,5 oder maximal zwei Grad Celsius zu beschränken, müssen noch in diesem Jahrzehnt die Treibhausgasemissionen in allen Sektoren reduziert werden, wie das Gremium in seinem am Montag in Interlaken vorgestellten Synthesebericht betont. UN-Generalsekretär António Guterres rief zu mehr Anstrengungen bei Klimaschutzmaßnahmen auf.
Auch der Vorsitzende des Weltklimarats, Hoesung Lee, sagte, der Bericht unterstreiche die Notwendigkeit, ambitionierte Schritte zu ergreifen. Das Tempo und Ausmaß der Klimapolitik reiche nicht, um den Klimawandel anzugehen. Zugleich betonte Lee: "Wenn wir jetzt handeln, können wir noch eine lebenswerte und nachhaltige Zukunft für alle sichern." Der Bericht zeige auch, dass die Technologien zur Lösung der Klimakrise vorhanden seien.
Laut dem Report, mit dem der Rat seinen sechsten Sachstandsbericht abschließt, werden bereits in naher Zukunft in allen Weltregionen Gefahren durch den Klimawandel wie Überflutungen und ein Verlust der Artenvielfalt zunehmen. "Mit jedem bisschen Erwärmung" würden die Auswirkungen dabei massiv ansteigen, sagte der Geograf und Mit-Autor Matthias Garschagen.
Der Bericht des Weltklimarats hält fest, dass das im Pariser Klimaabkommen vereinbarte 1,5-Grad-Ziel mit der bisherigen Politik verfehlt wird. So werde die Marke mit den bis Oktober 2021 gemachten Zusagen der Länder zur Einsparung von Treibhausgasen wahrscheinlich überschritten, heißt es. Die Staatengemeinschaft hatte sich im Pariser Klimaabkommen darauf geeinigt, die Erdererwärmung auf deutlich unter zwei Grad, möglichst sogar auf 1,5 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen.
Entschärfung der "Klima-Zeitbombe"
UN-Generalsekretär António Guterres rief bei der Vorstellung des Berichts dazu auf, die Klimabemühungen in jedem Land und in jedem Sektor massiv zu beschleunigen. Die "Klima-Zeitbombe" ticke, sagte er in einer Videobotschaft.
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sagte, der Bericht mache "mit brutaler Klarheit deutlich, dass wir an dem Ast sägen, auf dem wir als Weltgemeinschaft sitzen". Es sei aber weiterhin möglich, das 1,5-Grad-Ziel in Reichweite zu halten, "wenn wir in den nächsten sieben Jahren die globalen Emissionen halbieren". Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) sagte, der Ausstoß von Treibhausgasen müsse weltweit "sofort, schnell und in großem Umfang" reduziert werden.
In seinem Bericht betont der Weltklimarat, dass nur eine kleine Zahl an Modellen davon ausgehe, dass die Erderwärmung bis zum Jahr 2100 auf 1,5 Grad begrenzt werden könne, ohne diese Marke zumindest temporär zu überschreiten. Auch ein solches nur temporäres Überschreiten, der sogenannte Overshoot, hätte unumkehrbare Folgen wie die Gletscherschmelze, den Anstieg des Meeresspiegels und die Zerstörung von Ökosystemen.
Der Weltklimarat mit Sitz in Genf ist das führende internationale Gremium zu wissenschaftlichen Fragen und Antworten rund um die Erderwärmung. Der am Montag vorgestellte Synthesebericht beruht auf sechs Berichten mit Tausenden Seiten, die in den vergangenen Jahren veröffentlicht wurden. Er soll deren Erkenntnisse auch mit Blick auf politische Entscheidungen zusammenfassen. Das Dokument gilt als wichtige diplomatische Grundlage für kommende Klimaverhandlungen. Dem Weltklimarat gehören 195 Staaten an.