Es gibt aber noch eine zweite Variante des "Mammismo": Der Nestling hat sich zwar zum Ästling weiterentwickelt, kehrt jedoch ins Hotel Mama zurück, weil er an der Welt gescheitert ist; und davon erzählt "Like a Loser". Damit von vornherein klar wird, wie demütigend die Gesamtsituation für den dreißigjährigen Julian (Ben Münchow) ist, wird er gleich in der Auftaktszene von seiner Mutter (Johanna Gastdorf) beim Onanieren überrascht. Zum Glück ist der Humor acht jeweils nur gut zwanzig Minuten kurzen Folgen nicht durchgehend derart handfest, die besten Pointen ergeben sich eher beiläufig: Als Julian vorübergehend in Haft gerät, fragt ihn der Polizist nach seinem Beruf. "Musiker", sagt Julian; ohne weiteren Kommentar kreuzt der Beamte auf seinem Formular "arbeitslos" an.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Zum eigentlichen Thema kommt die Auftaktfolge jedoch erst zum Schluss: Julians große Schulliebe Marie (Tinka Fürst) eröffnet ihm, dass er seit fünfzehn Jahren Vater ist. Der Junge heißt Ernst (Diyar Ilhan), was zum Glück nur bei den Episodentiteln als Vorlage für müde Wortspiele genutzt worden ist ("Aus Spaß wurde Ernst"). Viel witziger ist Julians Erkenntnis, dass er ihn längst kennengelernt hat, denn sein Sprössling ist ausgerechnet jener Junge, dem er schon ein paar mal über den Weg gelaufen ist, und diese Begegnungen waren ausnahmslos unersprießlich. Also beginnen die beiden noch mal von vorn, und siehe da: Sie verstehen sich prima, weil Julian im Grunde selbst noch ein Teenager ist. Natürlich hat sich an seinen Gefühlen für Marie nichts geändert, aber im Gegensatz zu ihm ist sie erwachsen geworden. Deshalb tut er nun alles, um sie davon zu überzeugen, dass er Verantwortung übernehmen kann.
Aus diesem eigentlich überschaubaren Kern entwickeln die Drehbücher von Sandra Schröder und Jonas Heicks ständig neue und immer wieder überraschende Handlungsideen. Um sich den Platz an Maries Seite zu sichern, muss Julian erst mal einen Konkurrenten loswerden. Zum Glück weiß er Ernst dabei auf seiner Seite: Marie ist Lehrerin an just jenem Gymnasium, das auch sie und Julian einst besucht haben, und der Nebenbuhler ist kein geringerer als ihr Chef. Für Ernst ist es schon schlimm genug, ein Lehrerkind zu sein; als Rektorkind wäre er bei den Mitschülern endgültig unten durch. Dummerweise entpuppt sich Guideon Stöfgen (Tom Beck) als ziemlich cooler Typ, der Julian sogar einen Job als Leiter der Band-AG anbietet, aber als der Musiker hört, wie die Schüler "Smoke on the Water" malträtieren, lehnt er dankend ab.
Selbstredend nutzt das Drehbuchduo jede sich bietende Gelegenheit, um Julian mit allen möglichen peinlichen Situationen zu konfrontieren, was ihm wiederum ein gewisses Mitgefühl sichert. Trotzdem ist er nicht automatisch Sympathieträger, zumal er gerade zu Beginn einen unangenehmen Opportunismus offenbart. Die eigentliche Geschichte der von Facundo Scalerandi angemessen temporeich umgesetzten Serie spielt sich daher hinter den vielen heiteren Szenen ab, denn Julian muss sich natürlich wandeln, um nicht nur von Marie, seinem Sohn und seiner Mutter, sondern auch vom Publikum ernst genommen zu werden.
Auf eine ganz spezielle Weise erzählt "Like a Loser" tatsächlich eine Art Heldenreise, selbst wenn die Hauptfigur in jeder Hinsicht ein Held von eher trauriger Gestalt ist. Trotzdem stellt sich Julian mannhaft den diversen Herausforderungen, in deren Verlauf er weit über seinen Schatten springen muss. Dazu zählt nicht nur die Einsicht, dass Marie bei Guideon besser aufgehoben ist, sondern auch die Versöhnung mit ihrer Mutter; dass die Frau von Victoria Trauttmansdorff als bösartiger Drache verkörpert wird, passt immerhin ins Heldenbild. Das Ensemble ist ohnehin gut zusammengestellt.
Ben Münchow hat neben seinen Sohnrollen in "Tödliches Comeback" (2019, ARD) und "Weil wir Champions sind" (2022, RTL) schon die Zeitschleifenserie "Another Monday" (2022, Neo) bereichert, Tinka Fürst hat spätestens mit der "Tatort"-Episode "Spur des Blutes" (2022) bewiesen, dass sie als Stichwortgeberin für die Schauspielkollegen Behrendt und Bär unterfordert ist, und für Johanna Gastdorf ist Mutter Dagmar ohnehin eine Paraderolle. Den schwierigsten Part unter lauter erfahrenen Profis hat allerdings Diyar Ilhan, der das jedoch fabelhaft macht und Ernsts Kommentare mit herzerfrischender Trockenheit vorträgt. Neo zeigt die Serie dienstags in Doppelfolgen, sie steht bereits komplett in der ZDF-Mediathek.