German Djanatliev kommt mit seinem Rollkoffer in eines der Grundschulklassenzimmer an der Nürnberger Wilhelm-Löhe-Schule. Heute hat er den Kindern die Geschichte von König Achaschwerosch, Königin Esther und dem Bösewicht Haman mitgebracht. Im jüdischen Religionsunterricht geht es um den Hintergrund des Purim-Festes. Der jüdische Religionslehrer Djanatliev hält einen lebhaften Unterricht, läuft durch den Raum, während er gestenreich erzählt. "Wenn man daran keinen Spaß hat, dann darf man nicht Lehrer sein", sagt er.
Jüdische Religionslehre an einer christlichen Schule gibt es nach Wissen des Direktors Mark Meinhard deutschlandweit nur an der Einrichtung, die er leitet. Eingeführt wurde das Fach bereits bei der Wiedergründung der Schule nach dem Zweiten Weltkrieg, erzählt er: "Unsere Gründerväter und -mütter haben die Verantwortung aus der Geschichte erkannt." Anfangs besuchten nur wenige jüdische Kinder die Schule, aber inzwischen sind die Hälfte der jüdischen Nürnberger Kinder im Grundschulalter im jüdischen Religionsunterricht an der Löhe-Schule. Das sind etwa 50 Buben und Mädchen.
Sein Bruder und er tragen am Schabbat ihre Kippa, erzählt David. Katharina und Victoria backen mit ihrer Mutter manchmal das traditionelle jüdische Zopfbrot Challah und zünden die Schabbat-Kerzen an. Das dazugehörige Gebet kann Victoria wie aus der Pistole geschossen aufsagen. "Gesegnet seist Du, Gott, unser Gott, König des Universums, der uns geheiligt hat durch Seine Gebote, und uns befohlen hat, das Licht des heiligen Schabbats zu entzünden", sagt sie auf Hebräisch.
Gemeinsamkeiten der Religionen betonen
Rosanna Rybin, Mutter der jüdischen Schülerin Mira, ist froh, dass ihre Tochter an der Löhe-Schule Religionsunterricht haben kann. Sie selbst kommt aus einer Familie, in der die jüdischen Rituale und Feste keine Rolle spielten. "Aber ich finde es gut, wenn die nächsten Generationen die Traditionen meines Volkes weitergeben", sagt sie.
Bei Djanatliev lernen die Schülerinnen und Schüler die jüdischen Feste und Rituale kennen. Der Lehrer will aber auch die Gemeinsamkeiten der Religionen und der Menschen betonen, "egal, wie sie aussehen oder was sie glauben", sagt er. "Der Buddhismus ist die beste Religion der Welt - für den Buddhisten, für den Christen ist es das Christentum, für den Juden der jüdische Glaube." Niemand müsse dem anderen beweisen, dass er eine bessere Religion habe, unterstreicht der Mann, der vor 25 Jahren aus dem Kaukasus nach Deutschland gekommen ist.
In seiner Jugend hat er in einer islamisch geprägten Gesellschaft gelebt. "Vorurteile gegen Menschen anderer Religionen oder anderer Herkunft lassen sich eigentlich leicht aus der Welt schaffen, man muss sich gegenseitig kennenlernen", sagt er. Er habe weder in seiner alten Heimat noch in Deutschland Judenfeindschaft erlebt.
Jüdische Kinder sollen Schabbat einhalten können
Djanatliev spricht mehrere Sprachen und unterrichtet seit 2005 in Nürnberg sowohl an der Löhe-Schule, als auch in der Israelitischen Kultusgemeinde. An einem Tag der Woche gibt er Religionsunterricht am jüdischen Gymnasium in München, beim Kultusministerium ist er Beauftragter für sein Fach und die Lehrpläne in der Oberstufe.
Da haben sie an der Löhe-Schule also einen absoluten Profi angestellt. Mark Meinhard ist wichtig, dass an der großen Gesamtschule mit rund 2.000 Schülerinnen und Schülern der Dialog der Religionen gelebt wird. In den Jahresfestkreis würden die jüdischen Feste einbezogen, erzählt er. Bei Ausflügen und Klassenfahrten wird in der Schule darauf geachtet, dass die jüdischen Kinder ihre Gebete und den Schabbat einhalten können. In der Mensa wird auch koscheres Essen angeboten.
Zurück in den Reli-Unterricht mit der Geschichte von Königin Esther, König Achaschwerosch und dem Purimfest. Es weist auf die Rettung des jüdischen Volkes in der persischen Diaspora vor zweieinhalbtausend Jahren hin. Viele Gedenktage im Judentum erinnerten daran, dass das jüdische Volk verfolgt wurde oder umgebracht werden sollte, sagt Djanatliev. "Es hat nicht geklappt, deswegen feiern wir heute ein Fest in der Hoffnung auf eine fröhliche Zukunft und in der Hoffnung, dass unsere Kinder mit Stolz sagen können: Ich bin ein Jude."