Rechnet man orthodoxe oder freikirchliche Christen hinzu, gehören jedoch immer noch mehr als die Hälfte der Bevölkerung einer christlichen Konfession an.
Laut dem Münsteraner Religionssoziologen Detlef Pollack ist die 50-Prozent-Schwelle eine wichtige Marke. Der Trend zum Kirchenaustritt werde sich weiter beschleunigen. Die Kirchen könnten wenig tun, um den Trend aufzuhalten, sagte Pollack. Jedoch sei es wichtig, auch regionale Unterschiede im Blick zu behalten: Während in Ostdeutschland kaum noch 20 Prozent einer der beiden Kirchen angehörten, beläuft sich der Mitgliederanteil in Westdeutschland auf fast 60 Prozent.
Der Mitgliederschwund ist schon seit Jahren Realität. Vor 15 Jahren waren noch 61,2 Prozent der Deutschen katholisch oder evangelisch. Doch hat sich der Mitgliederverlust in den vergangenen Jahren beschleunigt. Ein Grund dafür ist neben dem demografischen Wandel die gestiegene Austrittsrate. Aus beiden Kirchen traten im Jahr 2021 so viele Menschen aus wie noch nie zuvor. In der evangelischen Kirche setzte sich der Trend auch 2022 fort.
2022 gehörten 19,1 Millionen Deutsche einer der 20 evangelischen Landeskirchen an. Die Zahl der Kirchenaustritte stieg im Vergleich zum Vorjahr um 100.000 auf rund 380.000, und war damit so hoch wie noch nie.
Die katholische Deutsche Bischofskonferenz veröffentlicht ihre Zahlen für 2022 im Sommer. Im Jahr 2021 gehörten der katholischen Kirche gut 21,6 Millionen Menschen an. Die Zahl der Kirchenaustritte stieg mit 359.338 auf einen Rekordwert.
Trotz Corona und Krisen: mehr Steuereinnahmen
Doch zeigt sich ein Paradox: Zwar sinken die Mitgliederzahlen bei beiden Volkskirchen, doch die Kirchensteuereinnahmen, die finanzielle Grundlage der 27 katholischen (Erz-)Bistümer und 20 evangelischen Landeskirchen, stiegen trotz Corona-Pandemie und Wirtschaftskrise im Jahr 2021. Zahlen für 2022 liegen aus beiden Kirchen noch nicht vor. Grund dafür ist unter anderem, dass die geburtenstarken Jahrgänge gerade in ihrer wirtschaftlich stärksten Lebensphase stehen und dadurch hohe Kirchensteuererträge einbringen.
Nach der Statistik der Bischofskonferenz stiegen die Kirchensteuereinnahmen im Jahr 2021 auf rund 6,73 Milliarden Euro. Im Vor-Pandemie-Jahr 2019 hatte die katholische Kirche eine Rekordsumme von 6,76 Milliarden Euro aus der Kirchensteuer eingenommen.
Die Kirchensteuereinnahmen der 20 evangelischen Landeskirchen stiegen laut der Statistik der EKD 2021 auf rund 6 Milliarden Euro, so viel wie noch nie. Sie übertrafen damit selbst die Einnahmen aus dem Jahr 2019 in Höhe von 5,94 Milliarden Euro.
Durch die Corona-Pandemie waren die Kirchensteuereinnahmen im Jahr 2020 zurückgegangen. Grund dafür war unter anderem die Kurzarbeit. Auf Kurzarbeitergeld wird keine Lohnsteuer entrichtet und infolgedessen auch keine Kirchensteuer. Diese ist an die Lohn- und Einkommenssteuer gekoppelt.
Nach Berechnungen von Finanzwissenschaftlern aus dem Jahr 2019 muss man davon ausgehen, dass sich die Kirchenfinanzen spätestens bis zum Jahr 2060 halbieren werden. Doch diese Prognose ist bei dem anhaltenden Trend der Kirchenaustritte bereits überholt. Während sich demografische Faktoren, wie etwa die Sterbefälle und Geburtenzahlen, in etwa so weiterentwickeln wie 2019 angenommen, haben sich die Austrittsquoten jedoch deutlich ungünstiger entwickelt, erläutert Fabian Peters, einer der damaligen Autoren der Studie von 2019. Peters arbeitet heute für die Evangelische Landeskirche Württemberg.
Im Jahr 2022 kehrten knapp 1,9 Prozent der Protestant:innen ihrer Kirche den Rücken. Im Vorjahr lag die Quote bei 1,4 Prozent. In der katholischen Kirche hat sich 2021 der Anteil der Menschen, die aus der Kirche austraten, im Vergleich zu 2016 verdoppelt: Die Quote war 2021 mit 1,6 Prozent noch höher als bei den Protestanten. Sollte der Trend so anhalten wie bisher, könnten sich die Kirchenmitglieder und Kirchenfinanzen erheblich früher halbieren.