Das Duo hat bereits bei "Spurlos in Marseille" (2020, ARD) zusammengearbeitet. In dem Thriller sah sich ein braver Hausmann nach dem Verschwinden seiner Frau mit mächtigen Gegnern konfrontiert. Der Freiburger Jugendrichterin Marlene Neubach (Silke Bodenbender) ergeht es nicht anders, aber das kann sie zunächst natürlich nicht ahnen, als sie für ein paar Tage bei ihrem Sohn vorbeischauen will; Jakob (Tom Gronau) ist für ein Erasmus-Jahr in der griechischen Hauptstadt. Als er zum vereinbarten Zeitpunkt nicht auftaucht und auch telefonisch nicht zu erreichen ist, macht sich Marlene verständlicherweise Sorgen, zumal sich rausstellt, dass er schon seit Monaten nicht mehr an der Uni war.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Silke Bodenbender ist genau die richtige Besetzung für diese Rolle. Richter hat auf Proben verzichtet und seiner Hauptdarstellerin zudem Raum für Improvisation gelassen; das lässt die entsprechenden Szenen noch authentischer wirken. Krää führt die Heldin als Frau ein, die in ihren Verhandlungen Respekt vor dem Gesetz fordert; im Verlauf der Suche nach ihrem Sohn wird sie ein Gesetz nach dem anderen übertreten. Wie der nicht minder unfreiwillige Held aus "Spurlos in Marseille" muss sie zudem Herausforderungen bewältigen, die außergewöhnliche Maßnahmen erfordern, denn zu ihrer großen Verblüffung gerät sie mitten hinein in eine Auseinandersetzung zwischen zwei Geheimdiensten; und beide Seiten sind ohne Skrupel bereit, für ihre Ziele über Leichen zu gehen.
Aus diesem Stoff hätte auch leicht eine Räuberpistole werden können, aber Krää bettet die Handlung sehr plausibel in einen aktuellen Rahmen: Jakob hat sich mit seiner Freundin Eleni (Chara Mata Giannatou) einer Gruppe angeschlossen, die im Namen von Nemesis, der griechischen Göttin des gerechten Zorns, Korruption und soziale Ungerechtigkeit anprangert. Die Untergrundorganisation will nicht tatenlos dabei zusehen, wie an der Außengrenze der EU Flüchtlingsboote zurück aufs offene Meer getrieben werden, aber die jungen Leute sind längst zum Spielball ganz anderer Interessen geworden.
Neben der durchgehend fesselnden ereignisreichen Handlung beeindruckt "Spurlos in Athen" vor allem durch die Inszenierung. Richters Filme sind optisch ohnehin stets herausragend, nur wenige Regisseure hierzulande haben eine derart ausgeprägte Freude an der ausgefallenen Visualisierung, weshalb die Anmutung seiner Filme stets sehr hochwertig ist. Mit Kameramann Andrés Marder hat er bereits bei einigen Episoden der Reihen "Die Diplomatin" und "Der Zürich-Krimi" zusammengearbeitet, beide wie auch "Spurlos in Marseille" ebenfalls Produktionen für die ARD-Tochter Degeto. Natürlich findet sich aller Turbulenz zum Trotz auch noch Zeit, um die verschiedenen Sehenswürdigkeiten Athens zu würdigen, aber die entsprechenden Impressionen sind geschickt integriert; anders als in anderen Auslandsproduktionen bedarf es dafür keiner Stadtrundfahrt der Hauptfigur. Auch die häufigen und zum Teil sehr dynamischen Drohneneinsätze sind nicht bloß Spielerei, denn sie verdeutlichen das schier aussichtslose Unterfangen der Mutter, ihren Sohn ohne jeden Anhaltspunkt zu finden. Die ständigen Schauplatzwechsel und die vielen Außenaufnahmen zeigen ein überaus facettenreiches Bild von Athen und lassen die Produktion sehr aufwändig wirken.
Dazu tragen auch die rasanten Actionszenen bei. Den Auftakt in dieser Hinsicht bildet ein Polizeieinsatz, der früh verdeutlicht, wie brutal die Behörden gegen die "Nemesis"-Mitglieder vorgehen. Später folgen noch einige Verfolgungsjagden, bei denen Richter alle Register zieht; die vielschichtige Thrillermusik (Andrej Melita) trägt ihren Teil dazu bei, dass "Spurlos in Athen" ausgesprochen temporeich ist. Schade, dass der Film ein bisschen schnell zum Schluss kommt; die Handlung hätte auch gut und gern für 120 Minuten gereicht. Die Degeto denkt darüber nach, den Regisseur mit weiteren "Spurlos"-Filmen zu beauftragen, aber das hängt wie immer vom Zuspruch des Publikums ab.