Große, braune Augen und lange, staksige Beine: Bambi ist das wohl bekannteste Reh der Welt. Kinder lieben das Rehkitz, Jägern macht es die Arbeit schwer. Berühmt wurde der kleine Bock durch den gleichnamigen Disney-Zeichentrickfilm, der 1942 in die Kinos kam. Dass der Film auf dem Buch "Bambi. Eine Lebensgeschichte aus dem Walde" basiert, ist weniger bekannt. Der Roman des österreichischen Schriftstellers Felix Salten (1869-1945) erschien vor 100 Jahren im Ullstein-Verlag.
Die Geschichte wird aus der Perspektive der Tiere erzählt und handelt von einem jungen Kitz, dessen Mutter bei einer Treibjagd ums Leben kommt. Salten, der ein Journalist und passionierter Jäger war, hat damit eine zeitlose Parabel über das Leben und Sterben geschaffen, die immer noch aktuell ist.
"Er kam mitten im Dickicht zur Welt, in einer jener kleinen, verborgenen Stuben des Waldes, die scheinbar nach allen Seiten offenstehen, die aber doch von allen Seiten umgeschirmt sind", lautet der erste Satz.
Zunächst wurde die Geschichte als Fortsetzungsroman der Wiener Tageszeitung "Neue Freie Presse" gedruckt. Als das Buch Anfang 1923 im Ullstein-Verlag erschien, war es erst einmal wenig erfolgreich. Erst die Neuauflage von 1926 im Wiener Zsolnay Verlag machte den Roman zu einem Bestseller.
Er wurde 1928 unter dem Titel "Bambi. A Life in the Woods" ins Englische übersetzt und schließlich durch die Verfilmung von Walt Disney weltberühmt, die aus dem europäischen Reh einen amerikanischen Weißwedelhirsch machte. In der deutschen Synchronfassung wurde Bambi aber doch wieder zum Reh.
Als der Film 1942 in die Kinos kam, war es der erste Kinderfilm, in dem ein Protagonist, nämlich Bambis Mutter, stirbt. Damals sollen Eltern mit weinenden Kindern aus den Kinos gegangen sein.
Ein Reh wurde als Figur für den Burda-Medienpreis ausgewählt, der seit 1948 verliehen wird. Weil die Tochter der ersten Preisträgerin Marika Rökk beim Anblick der Trophäe "Bambi, Bambi" gerufen haben soll, heißt der Preis so.
Mit journalistischer Genauigkeit beschreibt der passionierte Jäger, der als Siegmund Salzmann geboren wurde und sich ab 1911 Felix Salten nannte, die Tierwelt. Auch wenn es ein süßes Rehlein war, dass ihn berühmt machte, hat der Meister der Tiererzählung noch mehr Bücher über Tiere geschrieben: wie "Fünfzehn Hasen" (1929), "Gute Gesellschaft" (1930), "Freunde aus aller Welt" (1931) und "Florian, das Pferd des Kaisers" (1933).
Weil er Jude war, wurden seine Bücher in den 1930er Jahren von den Nazis verboten, er musste ins Schweizer Exil. Das Buch "Bambi" wurde in viele Sprachen, darunter auch Jiddisch, übersetzt. Im Vorwort betont der jiddische Dichter Schalom Asch, dass Salten den Kindern den Wald, wie sie ihn kennen, nähergebracht hat.
Man könne das Werk auch als "Geschichte von Vertreibung durch einen übermächtigen Feind, als einer unberechenbaren Macht ausgesetztes Opfer" lesen, sagte die Germanistin Susanne Blumesberger von der Universität Wien dem Evangelischen Pressedienst. "An der gewählten Sprache im Buch lassen sich Parallelen zum Sprachgebrauch in der Religion erkennen." Auffallend sei, dass nie von einem "Menschen" gesprochen wird, sondern nur von einem distanzierenden, großgeschriebenen "Er".
Doch die menschliche Übermacht hat Grenzen. Das beschreibt Salten in folgendem Dialog: "Höre, Bambi, Er ist nicht allmächtig", erklärt der Vater. "Er ist wie wir selber, denn Er kennt wie wir die Angst, die Not und das Leid. Er kann überwältigt werden gleich uns, und dann liegt Er hilflos am Boden, so wie wir andern, so wie du Ihn jetzt vor dir siehst." Mit einer Art religiösem Weitblick antwortet Bambi: "Ein anderer ist über uns allen ... über uns und über Ihm."
"Bambi" kann als Warnung vor allzu sorglosem Umgang mit der Natur und ihren Geschöpfen verstanden werden. Ob das Buch ein Plädoyer für radikalen Tierschutz und ein Anti-Jagd-Klassiker ist, wird kontrovers diskutiert.
"Jäger sehen in Bambi das wirkungsvollste Propagandawerk gegen die Jagd, das je produziert wurde", schreibt der Anthropologe Matt Cartmill in dem Buch "Das Bambi-Syndrom: Jagdleidenschaft und Misanthropie in der Kulturgeschichte". Der Geschäftsführer des Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege, Rudolf Neumaier, meint, man könne davon ausgehen, dass sich eine "beträchtliche Anzahl von Menschen", die Bambi gelesen oder gesehen haben, für ein Leben als Vegetarier entschieden oder sich gleich militanten Anti-Jagd-Aktivisten angeschlossen haben".
Dass Salten gleichzeitig leidenschaftlicher Jäger und überzeugter Naturschützer war, sei dabei kein Widerspruch, schreibt Neumaier in seinem 2022 erschienen Buch "Das Reh". Salten habe sich immer wieder gegen Treibjagden ausgesprochen, bei denen Tiere oft nur angeschossen werden und länger leiden müssen.
Einen ungewöhnlichen Schritt in Sachen Tierschutz ging 2018 ein Richter im US-Bundesstaat Missouri, wie die Tierschutzorganisation Peta berichtete. Er verurteilte einen notorischen Wilderer, der Hunderte Tiere illegal getötet hatte, zu einer einjährigen Haftstrafe mit der Auflage, einmal pro Monat den Film Bambi anzusehen.