Einsame Möhre auf dem Teller mit Besteck
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Kolumnist Alexander Maßmann fragt sich in dieser Ausgabe von "evangelisch kontrovers", ob wir in der Passionszeit fasten sollten.
Kolumne: evangelisch kontrovers
Soll man in der Passionszeit fasten?
Für die Passionszeit empfehlen viele auch in der evangelischen Kirche das Fasten. Lange hatten sich evangelische Christ:innen mit dem Fasten schwer getan. Soll man also fasten oder nicht?

Mit dem Aschermittwoch hat gestern die Passionszeit begonnen – knapp sieben Wochen vor Ostersonntag Anfang April. In katholischen Gegenden ist auch die Bezeichnung "Fastenzeit" üblich. Doch auch in der evangelischen Kirche interessiert man sich seit einiger Zeit wieder stärker fürs Fasten. Zum vierzigsten Mal regt die Aktion "7 Wochen Ohne" nun dazu an, innerlich den Schalter umzulegen. "7 Wochen ohne Verzagtheit" lautet das Motto dieses Jahr. Aber auch in den persönlichen Lebensgewohnheiten nähert man sich der Fastenidee des leiblichen Verzichts wieder an. Auf der Website zur Aktion heißt es, "wir machen vielleicht einen Bogen um den Kühlschrank, meiden den Zigarettenautomaten oder gehen überhaupt mal wieder zu Fuß. Wir entziehen uns Kalorien, Konsum oder Komfort." 

Das evangelische Wort "Passionszeit" rückt zu Recht Jesus ins Zentrum und nicht das eigene Tun wie der Begriff "Fastenzeit". Die Reformatoren haben zu Recht gegen eine Pflicht zum Fasten protestiert, aber das Fasten nicht insgesamt abgelehnt. Doch in der Moderne hat sich die evangelische Kirche mit dem Fasten schwer getan, auch weil es im evangelischen Glauben darum geht, was Christus für den Menschen tut, und nicht um die menschlichen Anstrengungen, Christus gerecht zu werden. Soll man also fasten oder nicht?

Der Sinn des Fastens

Am Fasten ist sinnvoll, dass man sich einmal im Jahr neu sortiert, so dass die vielen Annehmlichkeiten uns weniger davon ablenken, worauf es im Leben wirklich ankommt. In unserer Überflussgesellschaft ist weniger oft mehr. Auch angesichts der Klimakrise ist es höchste Zeit, die eigenen Gewohnheiten kritisch zu überdenken. Und schließlich kommt mit einer solchen Vorbereitung auch zum Fest der Auferstehung leichter die Osterfreude auf.

Das Problem beim Fasten

Hier lauert allerdings auch eine Gefahr. Ein Theologe, der von einer katholischen Website zum Thema Fasten befragt wird, hat nur zur Hälfte recht, wenn er sagt: "Wer verzichtet, schafft Raum, um etwas Anderes in den Mittelpunkt zu stellen...Wer weniger isst, hat mehr Hunger nach Gott. Wer auf die Berieselung durch Fernsehen und Internet verzichtet, kommt in die Stille. Und wer kein Geld fürs Vergnügen ausgibt, hat mehr Almosen zu geben." Durchs Verzichten solle man die Beziehung zu Gott und zum Nächsten stärken. 

Auf Berieselung und flache Unterhaltung zu verzichten und bewusster mit anderen zu teilen, ist sinnvoll. Zugleich aber bricht dieser Theologe eine Lanze für die Askese. In der traditionellen Sprache: Die Askese dient der Überwindung des Selbst, des Fleisches, der Welt. Wie gesagt, in unserer Überflussgesellschaft ist hier und dort etwas dran an dieser unbequem unmodernen Perspektive. Aber sich einseitig und pauschal der Askese zu verschreiben, folgt der Logik: je weniger Welt, je weniger Mensch, desto mehr Gott. Deshalb: verzichten, weniger essen, kein Geld fürs Vergnügen ausgeben.

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Auswahlmöglichkeiten

Auch andere Befürworter:innen des Fastens betonen den Verzicht. Im evangelischen Bereich ist man freier darin, in anderen Bereichen als in der Ernährung und der Unterhaltung Verzicht zu üben, und hier und dort wird ein Wandel der inneren Einstellung stärker betont als der Verzicht. Und natürlich geht es insgesamt nicht um harte Selbstkasteiung. Dennoch bleibt zu bedenken: Kommt man einer guten geistlichen Praxis näher, wenn es allein darauf ankommt, dass man sich etwas vorenthält?

Buße statt Umkehr

Auch wenn an diesen Empfehlungen des Fastens durchaus manches wertvoll ist, besteht beim Fasten oft die Gefahr eines alten Missverständnisses. Traditionell krankt das theologische Verständnis des Fastens an einem Problem mit der Buße. Von früh an rief die Kirche zum Fasten auf, weil es ihr um die Buße ging. Das lag aber daran, dass die kirchliche Tradition Jesu Ruf zur "Umkehr" (Markus 1:15: "Kehrt um und glaubt an das Evangelium!") mit dem lateinischen Wort fürs Büßen übersetzte. Buße stammt schon im Lateinischen vom Wort für die Strafe ab (poenitentia, poena). So betont die kirchliche Tradition künstlich die Buße im Sinne des Willens, eine Strafe auf sich zu nehmen. Große katholische Theologen haben ausdrücklich festgehalten, dass die Buße notwendig den Willen einschließe, sich selbst zu strafen. Je weniger Mensch, desto mehr Gott. 

Umkehr aus Angst oder aus Freude?

Jesus dagegen ruft mit einem griechischen Wort zur "Umkehr" oder einem "Umdenken" auf. Jesus selbst hat zwar gelegentlich auch gefastet, aber das Fasten spielt bei ihm längst nicht eine solche Rolle wie etwa bei Johannes dem Täufer. Jesus wurde sogar als "Fresser und Säufer" beschimpft (Matthäus 11:19) – offenkundig, weil er keinen gesteigerten Wert aufs Fasten legte. Auch drohte Johannes der Täufer mit einem Zornesgericht Gottes; laut ihm solle man "umkehren", um der Strafe zu entkommen. Jesus dagegen predigt die Umkehr aufgrund des Reiches Gottes. Damit geht es bei Jesus nicht um eine Gerichtsbotschaft, sondern positiv um Vergebung, Freude und Befreiung. 

Ausblick

Am besten begeht man die Passionszeit mit einer guten Balance zwischen Verzicht und Genuss. Zwar ist in der Passionszeit verschiedentlich der Verzicht eine Bereicherung. Doch wer durchweg den Verzicht als Gewinn darstellt oder die Beziehung zu Gott und den Nächsten einseitig durch den Verzicht gestärkt sieht, schüttet das Kind mit dem Bade aus. 

Denn das Christentum bekennt einen Gott, bei dem nicht das Motto gilt, je weniger Mensch, desto mehr Gott. Dieser Gott ist schließlich selbst Mensch geworden. Gott steht insgesamt nicht in Konkurrenz zur Welt, sondern liebt die Welt – und in der Passion hat Jesus damit radikal Ernst gemacht, sogar als die Welt sich gegen ihn wandte. Dieser frohen Botschaft wird die Ansicht nicht gerecht, dass es ausgerechnet die Entbehrung sei, die uns ein klareres Bewusstsein für Gott und den Nächsten schenkt.

Deshalb begeht die Passionszeit recht, wer zwar hier und da Verzicht übt, um die eigenen Prioritäten zu prüfen, andererseits aber sich und den Nächsten auch etwas Gutes gönnt. Das soll natürlich nicht wieder zu einer oberflächlichen Berieselung führen, zu einem Überfluss, in dem man das Gute nicht mehr wertschätzen kann. Deshalb schließen sich Verzicht und bewusstes Genießen gerade nicht aus. Wenn sich für ein fröhliches Treffen mit alten Freunden kein anderer Termin findet als der Karfreitag, sollte man das nicht in missverstandener Bußfertigkeit ausschlagen. Auch wer in der Passionszeit bewusst auf Schokolade oder Alkohol verzichtet, soll sich durchaus ein besonders schokoladiges Schokoladeneis oder ein besonders gutes Glas Wein gönnen – das ist keine Inkonsequenz.