Zur gleichen Zeit trifft sich die örtliche Naturschutzgruppe in der Hafenkneipe; alle Anwesenden haben somit ein Alibi. Der Verlobte des Opfers kommt jedoch zu spät, was ihn laut der ungeschriebenen Gesetze des TV-Krimis selbstredend verdächtig macht. Es wird gemunkelt, Caro habe die Hochzeit absagen wollen. Deshalb wird man nicht zum Mörder? Doch, im Krimi schon; und im wirklichen Leben leider auch.
Das eigentliche Thema der siebzehnten "Friesland"-Episode ist jedoch ein anderes, wie auch der Titel "Artenvielfalt" andeutet. Durch die gesamte Handlung zieht sich ein erbitterter Disput zwischen Naturschützern und Landwirten: Es geht um ein Mähverbot für brachliegende Wiesen. Erik Thomsen (Mike Hoffmann), Leiter der Naturschutzgruppe und Caros Verlobter, sieht darin die letzte Chance, um das Ökosystem zu retten, er will den Lebensraum von Rehen, Hasen und Feldhühnern schützen; aber die ohnehin gebeutelten Landwirte hätten gern eine weitere Einnahmequelle. Einem geht es besonders dreckig: Der Hof von Oliver Borchers steht kurz vor der Pleite. Das würde ihn, wenn überhaupt, zwar eher zum Mörder von Thomsen machen, doch er und Caro waren ein Paar, bevor sie ihn für den Naturschützer verlassen hat; "Auf ewig Dein" steht in dem Ring, den Borchers nicht zurückwollte. Das ist selbstredend ein handfestes Motiv; und auch dies keineswegs nur im TV-Krimi. Andererseits versieht Dirk Borchardt den zwar durchaus zornigen, ob der Todesnachricht aber glaubhaft schockierten Bauern mit einer Verzweiflung, die dem leicht verschroben wirkenden Eigenbrötler eine gewisse Sympathie sichert.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Tatsächlich bleibt lange völlig offen, wer den tödlichen Schuss auf Caro abgegeben hat; oder woher die 100.000 Euro stammen, die der Polizist Henk Cassens (Maxim Mehmet) und seine Kollegin Süher Özlügül (Sophie Dal) in ihrer Wohnung finden. Stefan Rogall, der viele Drehbücher für sehenswerte "Wilsberg"-Krimis geschrieben hat, hat eine ganze Reihe verdächtiger Personen zu bieten. Das gilt neben der Vorsitzenden (Katja Studt) des Landwirtschaftsverbands vor allem für einen vierschrötigen Zollbeamten, zumal Hendrik Heutmann ohnehin gern als Schurke besetzt wird; zuletzt zum Beispiel in der "Wolfsland"-Episode "Das dreckige Dutzend". Der Zoll kommt ins Spiel, weil Rogall den Naturschutz auf allen Ebenen seiner Geschichte unterbringt. Bestatter Habedank (Holger Stockhaus) zum Beispiel ist bei einer Sargbestellung auf einen Etikettenschwindel reingefallen: Die Kisten sind aus geschützten Hölzern hergestellt, die einem Einfuhrverbot unterliegen.
Der eigentliche Reiz von "Artenvielfalt" besteht jedoch im üblichen Mit- und Gegeneinander im Kommissariat, zumal sich Hauptkommissar Brockhorst (Felix Vörtler), der die Empathie ohnehin nicht erfunden hat, diesmal besonders unleidlich aufführt. Weil er eigene Fehler gern anderen in die Schuhe schiebt, verdonnert er den bedauernswerten Cassens zum Innendienst, als das gesamte Computersystem ausfällt. Diese Rivalität ist deutlich plausibler als ein unnötiger Zickenkrieg zwischen den beiden Apothekerinnen: Warum sich Insa Scherzinger (Theresa Underberg) und ihre Mitarbeiterin Harms (Tina Pfurr) ständig vergiftete Nettigkeiten an den Kopf werfen, ist nicht nachvollziehbar und auch längst nicht so amüsant, wie sich das Rogall sicherlich erhofft hat. Trotzdem macht es wie fast immer großen Spaß, dem Ensemble zuzuschauen, zumal das Drehbuch eine weitere interessante Figur einführt: Der angeforderte IT-Experte entpuppt sich als attraktive junge Frau (Veronique Coubard), an der Cassens umgehend großen Gefallen findet.
Neben dem eigentlichen Fall gibt Rogall den Krimifans ein weiteres Rätsel auf: Die Website "Küstenflüsterer", betrieben von einer Person, die sich Klaus Störtebeker nennt, ist ungewöhnlich gut über die polizeilichen Ermittlungen informiert, weshalb Brockhorst prompt einen Maulwurf in seiner Abteilung vermutet. Immerhin in dieser Hinsicht dürften viele Krimifans schon früh auf der richtigen Fährte sein, aber der Mord, dem später ein weiterer Anschlag folgt, erweist sich als harte Nuss, die sich bis zum Schluss, als sich die Apothekerin in den Fall einmischt und in Lebensgefahr gerät, nicht knacken lässt. Die Umsetzung von Rogalls Drehbuch durch Regisseurin Kerstin Ahlrichs ist allerdings längst nicht so abwechslungsreich wie die Vorlage; handwerklich solide zwar, aber völlig unauffällig.