Sie führt den Löffel in das Honigglas und lutscht ihn genussvoll ab, dann beißt sie in ein Stück Zitrone. Ein kurzer Schauer huscht über das Gesicht der 65-Jährigen - nicht nur wegen der Säure. Die Geschmacksexplosion im Mund von Petra Narowski-Schulz entsteht auch, weil sie seit Tagen nichts außer Gemüsebrühe, Kräutertee und dem gelegentlichen süßsauren Honig-Zitronen-Snack zu sich nimmt. "Ich kann das nur empfehlen", sagt sie, nippt an ihrem Tee und schaut auf die Dorfstraße des kleinen Rundlingsdorfs Luckau im niedersächsischen Landkreis Lüchow-Dannenberg.
Gottfried Mahlke, in dessen Wohnzimmer die Honig-Zeremonie stattfindet, schenkt noch einmal Tee nach. Der 75-Jährige hat 22 Jahre lang Kursteilnehmer beim Fasten begleitet und weiß: Wenn an Aschermittwoch die österliche Fastenzeit beginnt, setzen viele Menschen wie Narowski-Schulz auf die bewusste Reduktion von Nahrung. "Ich habe jahrelang als Pastoralpsychologe Kurse betreut", sagt Mahlke. "Ohne feste Nahrung war ich viel sensibler und wacher für die Sorgen und Fragen der Teilnehmer."
Mit dieser Einstellung gehört der pensionierte Pastor nicht zum Mainstream: Vielen Fastenden geht es Umfragen zufolge in erster Linie um Gewichtsverlust, dazu um ein besseres Körpergefühl und erst dann auch um ein bewussteres Leben. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) verweist darauf, dass die Studienlage bei medizinisch begleiteten Fastenkuren durchaus einen verminderten Bauchumfang sowie verringerte Cholesterin- und Blutfettwerte in Aussicht stellt. Die Nachhaltigkeit von Wochenkuren sei allerdings eher fraglich.
Petra Narowski-Schulz wollte ohnehin nicht abnehmen, sondern vor allem wieder gesund werden und sich auch so fühlen. Die studierte Erziehungswissenschaftlerin war viele Jahre in leitender Funktion für Kindertagesstätten zuständig, ein echter Stressjob. Zweimal kam sie allein 2022 mit Verdacht auf Herzinfarkt ins Krankenhaus, sie litt unter extremem Bluthochdruck. "Ich wusste, dass ich etwas ändern muss", sagt sie. Ihre Hausärztin hatte sie zwar mit Medikamenten versorgt, aber wirklich besser wurde der Druck in ihren Gefäßen nicht. Dann kam der Ruhestand auf sie zu.
Sie entschied sich bewusst für das Fasten als Übergangsritual. "Meine Idee war: Ich lasse das Alte los, damit ich leer bin für das Neue", sagt Narowski-Schulz. Ein Konzept, das in der Fastenszene als "Reset" bezeichnet wird. Nur - wo sollte sie den körperlichen Neustart wagen? Das Internet ist voll mit Online-Kursen, die kamen für sie allesamt nicht infrage. Viele Angebote mit Unterbringung waren ihr zu teuer, andere "zu Wellness-orientiert oder schlicht zu esoterisch".
Schließlich wählte sie einen Kurs an der Ostsee von Uta-Maria Döhn. Die 63-jährige hat einst Orthopädietechnik gelernt, war schon als Diakonin, Kantorin und Grundschullehrerin tätig. "Ich habe einfach Freude daran, anderen etwas Sinnvolles mitzugeben", sagt Döhn, die sich an der Deutschen Fastenakademie ausbilden ließ. "Und dass der Körper eher unter Überfluss leidet als unter Mangel, ist für mich ganz eindeutig."
Auch Döhn sitzt mit am Tisch im Wendland. Anfang März, in der vorösterlichen Fastenzeit, bietet sie gemeinsam mit ihrem Mann Gottfried Mahlke ein Seminar im Evangelischen Bildungszentrum Hermannsburg an. Vor einer solchen Fastenwoche müssen alle sicherstellen, dass medizinisch nichts gegen ihre Teilnahme spricht. Auf feste Nahrung wird dann vollständig verzichtet - stattdessen gibt es Tee, Obst- und Gemüsesaft, dazu abends dünne Suppe.
Bei dem Seminar stehen Bewegung und Natur, aber auch Besinnung im Vordergrund. "In einer solchen Woche tauchen viele Gefühle auf", sagt der Seelsorger Mahlke. "Ich ermuntere alle, auch einmal allein spazieren zu gehen und sich ernst zu nehmen."
Für Petra Narowski-Schulz ist der Plan aufgegangen. Ab dem zweiten Fastentag sank der Blutdruck, ab Tag drei war er stabil auf Idealwerten. Am Ende hat die Neu-Ruheständlerin sechs Kilo abgenommen. "Fasten ist nicht nur Verzicht. Da kommt auch etwas Neues dazu", sagt sie. Sie achte jetzt sehr viel mehr auf ihre Ernährung und Gefühle. Und wenn sie mal unterwegs hungrig sei, habe sie immer eine Schachtel Nüsse und eine Wasserflasche dabei. Nicht nur in der Fastenzeit.