Herr Reinbold, was ist der ursprüngliche Sinn des Fastens - und wo hat es seine Wurzeln?
Wolfgang Reinbold: Menschen fasten seit alters her, und zwar in allen Kulturen und Religionen. Die Gründe dafür sind ebenso unterschiedlich wie die Formen. Es geht um Askese, Kontrolle, Verzicht, Reinigung, Trauer, Buße und vieles andere mehr, heute nicht zuletzt auch um Gesundheit. Einen einheitlichen Sinn gibt es nicht.
Ab Aschermittwoch heißt es wieder "Sieben Wochen ohne": Die christliche Fastenzeit startet. Seit wann wird diese Zeit bewusst in dieser Form begangen und warum dauert sie ausgerechnet sieben Wochen?
Reinbold: Das setzt sich ab dem 4. Jahrhundert durch. Allerdings unterscheidet sich die Zahl der Fastentage von Ort zu Ort. Mal sind es 30, mal 31, mal 36, mal 40. Den ältesten Bericht über eine Fastenzeit von genau 40 Tagen verdanken wir der Pilgerin Egeria, die Ende des 4. Jahrhunderts das Heilige Land bereist hat. Sie berichtet, dass man in Jerusalem acht Wochen gefastet und dabei jeweils die Samstage und Sonntage ausgenommen habe. Auch heute ist die Zahl 40 eher eine runde als eine exakt berechnete Zahl. Ihren Ursprung hat sie in der Bibel, in den Evangelien. Sie erzählen, dass Jesus einst 40 Tage in der Wüste gefastet hat.
Wie fastet man eigentlich im Christentum?
Reinbold: Die Tage vor der Fastenzeit heißen nicht umsonst "Karneval". Wenn Sie dieses ursprünglich lateinische Wort ins Deutsche übersetzen, haben Sie auch schon die traditionelle Antwort auf Ihre Frage: "Karneval" kommt vom lateinischen Ausdruck "carnem levare". Und das bedeutet: das "Fleisch wegnehmen". Also: Christen und Christinnen essen während des Fastens üblicherweise kein Fleisch.
"Die Reformation formierte sich als eine Art Protestbewegung gegen kirchliche Fastenregeln."
Diese Tradition gilt nicht nur für die Zeit vor Ostern, sondern auch für die anderen Fastenzeiten und die Fastentage Freitag - der Tag des Todes Jesu - und Mittwoch. Orthodoxe Christinnen und Christen etwa essen traditionellerweise an beiden Tagen weder Fleisch noch Eier noch Milchprodukte.
Heute verbinden wir mit Karneval nicht so sehr den Fleischverzicht, sondern große Umzüge und närrisches Treiben, und das vor allem in katholischen Gebieten - warum eigentlich?
Reinbold: Die Reformation formierte sich an manchen Orten zu Beginn als eine Art Protestbewegung gegen die kirchlichen Fastenregeln. Berühmt ist das sogenannte "Wurstessen" im Haus des Druckers Christoph Froschauer, mit dem die Reformation in Zürich begann. Hier lehnte man die Fastenregeln vor allem mit dem Argument ab, dass nichts davon in der Bibel stehe.
"Die Mönche brauten in der Fastenzeit besonders starkes Bier."
In anderen Punkten waren die Reformatoren weit weniger aufsässig oder liberal als beim Thema Fasten. So empfanden sie die oftmals sehr derben und "unsittlichen" Feiern des späten Mittelalters, mit viel Alkohol und Sex und wilden Tänzen, als abstoßend. Das mag womöglich erklären, warum das "tolle Treiben" bis heute tendenziell mit katholischen Regionen verbunden ist.
Also ist Karneval nichts für wahre Protestanten.
Reinbold: Klar, der Karneval ist zwar bis heute eher typisch für katholische Gegenden. Ein katholisches Alleinstellungsmerkmal war er allerdings nie. Auch dafür ist eine Stadt in der Schweiz das schönste Beispiel, nämlich Basel. Basel wurde 1529 evangelisch, und die Obrigkeit versuchte, auch hier die Fasnacht abzuschaffen. Das aber ließ das Volk nicht mit sich machen. Heute gehört die Basler Fasnacht zum Unesco-Weltkulturerbe - als evangelisches Fest!
Zurück zum Fasten: Heute verzichten viele Menschen ja eher auf Süßigkeiten oder Alkohol als auf Fleisch. Ist das eine neue Entwicklung?
Reinbold: Tatsächlich! Der Verzicht auf Alkohol ist sogar alles andere als eine Fastentradition, auch wenn man das manchmal hört und liest. Die Mönche brauten in der Fastenzeit sogar ein besonders starkes Bier, das "Fastenbier". Manche Brauereien machen das bis heute. Warum ein Fastenbier? Weil es mehr Kalorien hat und man so auch ohne Fleisch schneller satt wird.
"Auch Hindus, Buddhisten und Bahai kennen das Fasten."
Wie wird in anderen Religionen gefastet?
Reinbold: Im Judentum ist der sogenannte Große Versöhnungstag besonders wichtig. Auf Hebräisch heißt er "Jom Kippur". An diesem Tag darf nicht gearbeitet werden, und es ist ein strenges Fasten zur Reinigung von den Sünden vorgeschrieben.
Muslime fasten im Ramadan einen ganzen Monat lang, allerdings nur tagsüber. Nachts darf gegessen und getrunken werden. Für Aleviten ist besonders das sogenannte "Muharrem"-Fasten wichtig. Im ersten Monat des islamischen Kalenders, dem Muharrem, fasten sie zwölf Tage lang aus Trauer um den Tod von Imam Hüseyin im Jahr 680.
Jesiden wiederum haben ihre wichtigsten Fastentage im Dezember. Dann wird unter anderem das "Fest zu Ehren des Sonnenengels" und das "Fest zu Ehren Gottes" gefeiert. Beide Feste sind verbunden mit vorbereitenden Fastentagen. Auch Hindus, Buddhisten und Bahai kennen das Fasten und haben dafür genaue Zeiten und Regeln.