Die meisten Patienten kennen Farnaz Salehzadeh seit vielen Jahren als Hausärztin und Internistin ihres Vertrauens. Doch vor einigen Wochen hängte die Ärztin im Wartezimmer ihrer Praxis in Neuenstadt am Kocher (Landkreis Heilbronn) ein sehr persönliches Plakat auf. Zu sehen sind darauf Fotos aus dem Iran, zu lesen ein handgeschriebener Brief der Ärztin an ihre Patienten. "Wissen Sie woher ich komme?", fragt sie darin. "Ich bin Exiliranerin!"
Und dann schwärmt sie vom Iran, dem Land der duftenden Rosengärten, der warmherzigen Künstler und Kalligraphen. "All das wurde unter der Herrschaft der islamischen Machthaber, der Ayatollahs, düster und schwarz." Auf ihrem Plakat ist zu lesen, dass sie 1980, ein Jahr nach der Islamischen Revolution und der Machtergreifung Ayatollah Chomeinis, als 16-jährige Schülerin gegen dessen Herrschaft und gegen brutale Strafen wie Steinigung protestierte und dafür zweieinhalb Jahre in Haft kam.
Dem Tod nur knapp entronnen
Sie musste Handschellen und Augenbinden tragen, erhielt immer wieder Besuchsverbot und weinte hinter Gittern oft vor Angst und Trennungsschmerz. "Wir teilten einmal ein Stück Traubenzucker unter zwanzig Gefangenen", erinnert sie sich. "Wir freuten uns beim Anblick eines Löwenzahns im Gefängnishof." Dass sie nicht wie manch andere der Insassinnen hingerichtet wurde, lag wohl daran, dass sie noch nicht volljährig war.
"Nach der Entlassung aus dem Gefängnis sammelte mein Vater Unterschriften, damit ich trotz Schulverbots das Abendgymnasium besuchen darf", sagt die 58-Jährige. Die Liste wurde ganze sieben Meter lang mit zahlreichen Unterschriften von Unterstützern. Schließlich durfte sie das Abitur nachholen, doch sie blieb weiter im Visier der Behörden, konnte weder studieren noch arbeiten oder einen Führerschein machen.
Brennende Bücherberge im Iran
Deshalb floh sie 1987 nach Deutschland, brachte sich selbst Deutsch bei, studierte Medizin und wurde Fachärztin. "Ich bin dankbar, hier in diesem Land, meiner zweiten Heimat, leben und arbeiten zu können." Es sei für sie ein Privileg, sich angstfrei für Politik interessieren zu können, Sport zu treiben oder Bücher lesen zu dürfen - alles keine Selbstverständlichkeit für sie. Sie erinnert sich an brennende Bücherberge im Iran - Bücher, die angezündet wurden, weil sie auf dem Index standen und als blasphemisch galten. "Ich erinnere mich an unsere Geige und Gitarre, die mein Vater im Garten begrub, weil Musik verboten wurde. Die Melodien klingen aber noch heute in meinem Herzen nach", schreibt die Ärztin.
Die ganzen Jahre hinweg verfolgte sie weiter die Situation in ihrer Heimat und freute sich, dass sich nun nach mehr als vier Jahrzehnten islamischer Herrschaft eine so große Zahl junger Frauen und Männer wie noch nie trauten, im Iran auf die Straße zu gehen und "Frauen, Leben und Freiheit" zu skandieren. Als dann im September 2022 die von der "Sittenpolizei" verhaftete Mahsa Amini im Koma stirbt, erreichten die Demonstrationen ihren Höhepunkt. "Diese Ereignisse waren so überwältigend, ich konnte meine Tränen nicht unterdrücken", sagt die zweifache Mutter. Alle Erinnerungen an ihre Erlebnisse holten Salehzadeh wieder ein - wie so oft.
Der Widerstand gegen das Mullah-Regime in Iran geht weiter
Sie nahm auch regelmäßig teil an Protesten der Exiliraner in deutschen Städten gegen das iranische Regime, aber wollte zusätzlich dazu auf ihre eigene Art einen kleinen Beitrag leisten - und in einem Brief ihren Patienten mitteilen, was sie bewegt. "Auch wenn der Iran derzeit nicht sehr viel öffentliche Beachtung findet: Der Widerstand geht weiter", sagt sie. Zwar erklärte Irans Präsident Ebrahim Raisi zum 44. Jahrestag der Islamischen Revolution am 11. Februar die seit Monaten andauernden Proteste für gescheitert, doch diese hören trotzdem nicht auf. "Das zeigt, dass die Ayatollahs es nicht geschafft haben, die Sehnsucht nach Freiheit und Leben zu unterdrücken."
Als Exiliranerin wünscht sich die Hausärztin, "dass Menschen im Iran ohne Gewalt und Druck ihre Gedanken und Glaubensüberzeugungen frei äußern können - und dass die Frauen dieselben Rechte haben wie Männer und alle Menschen wieder "lachen und leben lernen".
Ihre Patienten in der Hausarztpraxis spricht sie am Ende des Briefes an: "Denken Sie bitte auch an den Kampf dieser Menschen und beten Sie für den Iran". Seit das Plakat hängt, hat sie bereits viele Reaktionen erhalten, die alle durchweg positiv sind. "Ich bin überwältigt von der Solidarität vieler Patienten und hoffe, dass ihre Gebete einen hoffnungsvollen Wandel bewirken."