Seit mehr als vier Monaten gehen große Teile der jungen Bevölkerung im Iran gegen das verhasste Regime der islamischen Republik und der Mullahs auf die Straße. Mehr als 500 vorwiegend junge Frauen und Männer sowie auch Kinder wurden bei Demos getötet. Tausende landeten in den berüchtigten Folterkammern der iranischen Gefängnisse und vielen droht der Tod. Die Buchautorin und Nah-Ost-Korrespondentin Golineh Atai äußerte sich am Dienstag im Deutschlandfunk über die Eskalation der Gewalt im Iran gegen die Prostierenden. Auch der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Thorsten Latzel positioniert sich zum Konflikt.
"Im Moment versucht das Regime, mit harten Sicherheitsmaßnahmen die Situation in den Griff zu bekommen und zugleich mit allen Mitteln den Anschein der Normalität wiederherzustellen", sagte Golineh Atai dem Deutschlandfunk. Sie beobachte eine Militarisierung des Haushalts. "Und dazu gehört, dass man spezielle Einheiten erschaffen will, die speziell Jugendliche im Blick haben in der Öffentlichkeit. Dazu gehört, dass den sogenannten schlecht verschleierten Studentinnen jetzt neue Disziplinar- und Strafmaßnahmen drohen an den Universitäten."
Golineh Atai hat immer auch die Opfer des Regimes im Blick. Auf Twitter schrieb sie auch über den jungen Karatekämpfer Seyyed Mohammad Hosseini, der am 7. Januar gehängt wurde. Auch er hatte sich gegen das iranische Regime geäußert. Er wurde festgenommen, gefoltert und war 65 Tage in Einzelhaft.
Kein Grabstein für Hingerichtete
Die Lebensgeschichte des 39-Jährigen sei kaum auszuhalten, sagt Atai. Seine Eltern seien bereits gestorben, auch keine Geschwister besuchten ihn im Gefängnis. Er hätte unter einer Nervenkrankheit gelitten. Seinem Anwalt berichtete er tränenüberströmt "von unter Folter erzwungenen Geständnissen". "Das ist alles unfassbar traurig und ja, auch Sinnbild einer nationalen Tragödie", meint Atai.
Allerdings sieht Atai auch etwas Ermutigendes: unzählige Reaktionen der Inlandsiraner auf die Hinrichtung. "Als ob ein Waisenkind plötzlich Eltern und eine mitfühlende Familie gefunden hat in der ganzen Nation." Ihm würden Blumen an sein Grab gebracht. Die Zitate, die er in den sozialen Medien teilte, würden neu geteilt. "Sein Bild wird in Wohnzimmern auf den Tisch gestellt, und Familien sammeln Geld für einen Grabstein für sein Grab." Aber auch das sei gefährlich, fügt Atai hinzu. "Als einer die Abmessungen für das Grab vornehmen wollte, wurde er festgenommen. Es gehört zu den Charakteristika der Islamischen Republik, dass sie keine Grabsteine für die Hingerichteten und Getöteten möchte." Denn dort an den Gräbern hat sich immer Widerstand formiert. Der Todestag der in der Haft umgekommenen 22-jähriggen Kurdin Jina Mahsa Amini war schließlich der Auftakt für diese Revolution. Sie hatte lediglich ihr Kopftuch nicht so getragen, wie es die Sittenpolizei vorschreibt.
Die Revolutionsgarden der islamischen Republik und ihre Milizen haben großen Anteil an dem Leid der Demonstrierenden. Durch die sozialen Medien gingen die Videos von Milizen der Revolutionswächter und ihrer Freiwilligengruppen, wie sie auf der Straße Protestierende zusammenschlugen und auf sie schossen. Auch das in Städten jetzt verbreitete Flanieren ohne Kopftuch ist lebensgefährlich.
Präses Latzel verurteilt "himmelschreiendes Unrecht" durch das Mullah-Regime
Der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland Thorsten Latzel verurteilte die Gewalt gegen die Demonstrierenden im Iran. Dass etwa im Namen der islamischen Republik Urteile gegen Menschen gesprochen werden, die nur für ihre Freiheit protestierten. Und dass dieses Todesurteile Titel tragen wie "Korruption auf Erden" oder "Krieg gegen Gott". Das kommentierte Thorsten Latzel so: "Nichts auf der Welt rechtfertigt solche Menschenrechtsverletzungen. Das ist eine Justiz, die den Namen Gottes missbraucht, um das eigene Volk zu unterdrücken. Es geht diesem Regime nicht um Gott, sondern einzig um die eigene Macht."
Präses Latzel verwies auf die Tagung der Rheinischen Landessynode in der vergangenen Woche. Dort habe die Kirche "in aller Klarheit und Schärfe unseren Protest gegen das himmelschreiende Unrecht und die Menschenrechtsverletzungen durch das Mullah-Regime im Iran" formuliert: "Die brutalen Verfolgungen von Demonstrierenden im Iran erschüttern uns. Wir sehen, dass Protestierende willkürlich inhaftiert werden. Uns entsetzen Menschenrechtsverletzungen, Folter und Hinrichtungen. Wir bewundern den Mut, sich der Gewalt mit dem eigenen Leben entgegenzustellen."
Auf der Landessynode hätten evangelische Geistliche mit Menschen aus der iranischen Community in Deutschland "ein bewegendes und engagiertes Politisches Nachtgebet in Düsseldorf" gehalten. (Evangelisch.de berichtete). Er persönlich und auch die Synode hätten gehofft, dass die EU die iranischen Revolutionsgarden auf die Liste der Terrororganisationen setzten. "Das wäre ein wichtiges und deutliches Zeichen gegen das Gewaltregime im Iran gewesen", sagt er. "Umso mehr bedaure ich es, dass dies nun ausgeblieben ist. An der Unterdrückung sind zugleich weitere Organe des iranischen Systems beteiligt", betonte er.
Gewalt in Gefängnissen gegen Inhaftierte
Unterdessen habe in den Gefängnissen die Gewalt gegen Protestler wieder zugenommen, berichtet Golineh Atai. Üblich seien schon unmenschlich lange Haftstrafen, Isolationsfolter und das Vorenthalten medizinischer Versorgung. Nun sei das Regime offenbar wieder zu systematischer Vergewaltigung Gefangener übergegangen.
Als ob alles erlaubt sei, so Atai: "Grenzenlose Gewalt, grenzenlose Verrohung. Und ich habe davon gehört, dass damit später Gefangene keine Beweise vorlegen können über sexuelle Übergriffe im Gefängnis", etwa zu Oralsex gezwungen worden zu sein. Man wisse durch Informationen, durch Briefe von Gefangenen, dass die Zustände in den Gefängnissen sich insgesamt merklich verschlechtert haben in den vergangenen Wochen.