Ein Busfahrer will Spiegeleier auf dem Mond braten, mutige Schnecken beklauen einen mächtigen Zauberer und ein Löwe träumt von Schokokuchen auf Hawaii. Wenn Kinder Bilderbücher machen, wird's bunt und anders als man denkt. "Sie haben weniger Hemmungen und erzählen einfach drauflos", sagt Martin Gries, pädagogischer Leiter des Vereins Bücherpiraten in Lübeck. Hier schreiben und malen Kinder und Jugendliche seit 20 Jahren eigene Bilderbücher, die ins Internet gestellt und dann online heruntergeladen werden können. 2016 kam das Projekt "1001 Sprache" dazu: Ehrenamtliche übersetzen die Bilderbuchtexte. Seitdem gibt es die Bücher auch zweisprachig - in 77 Sprachen.
Oft sind es professionelle Übersetzer, die auf eine Bezahlung verzichten. "Jedes Kind sollte die Chance auf ein Buch in seiner Muttersprache haben", findet Bücherpiraten-Mitgründer Gries. Müssten die Eltern in einer Fremd- oder Amtssprache ein Bilderbuch vorlesen, seien sie schnell verunsichert. "Dabei sollte Geschichten vorlesen eigentlich pure Geborgenheit sein."
Auf der Website www.bilingual-picturebooks.org sind zweisprachige Kinderbilderbücher zum kostenlosen Download hinterlegt - von Arabisch über Dari, der afghanischen Version von Persisch, und Ukrainisch bis hin zu Zapotekisch, einer indigenen Sprache aus Mexiko. Sie können auf dem Tablet gelesen oder als Buch ausgedruckt werden. In den vergangenen sechs Jahren wurden auf der ganzen Welt mehr als 64.000-mal Bücher heruntergeladen, in 954 Sprachkombinationen. Gries freut sich besonders, dass so auch Kinder "mit besonderen Sprachkombinationen" ihren Weg zum Buch fänden: "Für das afghanische Kind auf einer friesischen Insel gibt es dann eben die Ausgabe auf Friesisch-Dari."
Auch Tausende ukrainische Kinder, die mit ihren Familien nach Deutschland geflohen sind, profitieren vom bilingualen Projekt. "Wir wollen eine Brücke sein", sagt Gries. Im vergangenen Jahr verschenkte der Verein 10.000 gedruckte ukrainisch-deutsche Bilderbücher an geflüchtete Kinder.
Gerade ist in den Räumen des verwinkelten Lübecker Altstadthauses das 39. Buch fertig geworden. "Wie kann die Zukunft gelingen?" heißt es. Eineinhalb Jahre lang haben 24 Kinder und Jugendliche in unterschiedlichen Teams daran gearbeitet. Kinder haben in Deutschland, in der Türkei und im Iran zunächst nach Menschen gesucht, die etwas für eine bessere Zukunft tun - sei es für die Umwelt, für Familien oder die Gesundheit. "Wir haben die Gemüsehandwerker in Lübeck befragt, weil sie kein Pflanzengift nehmen und auch keinen Verpackungsmüll haben", erzählt Theo Stolzenberg (9).
Insgesamt kamen mehr als 40 Texte zusammen. Ältere Schülerinnen und Schülern haben sie sortiert, ausgewählt und in bilderbuchtaugliche Sprache umformuliert. "Es ist gar nicht so einfach, für kleine Kinder zu schreiben - so ganz ohne Nebensätze", sagt Sophia Balke (18). Mit den Texten haben sich sechs Jugendliche dann in die Malwerkstatt zurückgezogen. Auf Plakaten wurden die Bilder geplant, Skizzen gepinnt, auf dem großen Tisch voller Farbtuben und Papieren wurde gezeichnet und gemalt. Eine professionelle Illustratorin gab Tipps für die Farbpalette. "Mit viel Ocker und Blau ist es sehr harmonisch geworden, obwohl jeder von uns seinen eigenen Stil hat", findet Anna Kluth (18).
Am Ende standen einige Jugendlichen auch noch vor dem Mikrofon und haben ein Hörbuch produziert. "Eltern haben ja nicht immer Zeit vorzulesen, deshalb haben wir es einfach für sie gemacht", sagt der 15-jährige Kalle Demmert. Das Team ist zufrieden mit dem Buch. "Es war auch für mich eine tolle Erfahrung in der Gruppe", sagt Nina Grawert (17). Dabei entstehen die Titel nicht nur in Bilderbuchwerkstätten in Lübeck. Mehr als 400 Kinder aus vier Kontinenten hätten an den 39 bisher erschienenen Büchern mitgearbeitet, erklärt der Verein, der auf Spenden und Sponsoren angewiesen ist.
"Die Geschichten sind ein Geschenk an die Welt", sagt Gries. Er ist auch nach 20 Jahren noch fasziniert davon, wie die Bücher entstehen: "So etwas können sich Erwachsene oft nicht ausdenken, sie geben allzu abwegige Ideen schnell wieder auf." Kinder dagegen schicken den Busfahrer mitsamt Huhn über die Milchstraße einfach zum Eierbraten auf den Mond. Gries: "Schließlich brauchen kleine und große Menschen auch verrückte Geschichten."