Der Wagen sieht aus wie ein ganz normales Handwerker-Auto: Niemand soll erkennen können, dass es eine mobile Beratungsstelle ist. Im Innern des ausgebauten Vans versuchen die selbsternannten "Land-Grazien" im ländlichen Schleswig-Holstein, Frauen in Krisensituationen zu helfen: Etwa, wenn sie sich aus einer gewalttätigen Beziehung lösen wollen.
"Die mobile Beratung ist sicher und anonym", sagt Christina Gehlhaar (34), eine der vier hauptamtlichen Mitarbeiterinnen der Land-Grazien. Die Frauen müssen sich nicht auf den Weg in eine Beratungsstelle machen, die Beratungsstelle kommt zu ihnen. Die Beraterinnen treffen die Frauen zum Beispiel unterwegs, wenn sie ihre Kinder in den Kindergarten bringen. Das falle auch dann nicht auf, wenn ein Mann seine Partnerin überwacht und den Kilometerstand des Familienautos kontrolliert.
Eine gewalttätige Beziehung zu verlassen, kann auf dem Land besonders schwer sein: "Meist läuft Partnerschaftsgewalt im Stillen ab", sagt Gehlhaar. "Wenn aber eine Frau auf dem Dorf sagt, sie macht das nicht mehr mit, und sich trennen will, gibt es kritische Blicke", sagt sie. "Das hast du dir doch ausgedacht, das kann ich mir bei dem gar nicht vorstellen", hörten die Frauen dann.
Die meisten Frauen werden über Social-Media-Kanäle auf das Angebot der Land-Grazien aufmerksam, erklärt Gehlhaar. Viele Hilfesuchende seien noch sehr jung, 20 Prozent von ihnen in ihrer ersten Beziehung. Im Schnitt wenden sich laut Gehlhaar jede Woche drei Frauen an die Land-Grazien.
Träger ist der Verein "Frauen helfen Frauen Sandesneben und Umgebung" mit Sitz in Labenz, einer Gemeinde 50 Kilometer entfernt von Hamburg. 2020 hat Sozialarbeiterin Miriam Peters den Verein mit zehn Frauen gegründet. Die Resonanz auf die Arbeit der Land-Grazien sei mittlerweile überwiegend positiv, erzählt Gehlhaar. Das sei jedoch nicht immer so gewesen: "Am Anfang waren viele Menschen skeptisch. Sie haben gesagt, das Problem gibt es bei uns nicht." Gehlhaar betont jedoch: "Gewalt kennt keine Region."
Die offizielle Statistik des Bundeskriminalamts (BKA) trifft keine Aussage zur regionalen Verteilung von Partnerschaftsgewalt. 2021 wurden laut BKA 143.600 Mal Menschen Opfer von Gewalt in Partnerschaften in Deutschland. Davon waren rund 80 Prozent weiblich. Sie erlitten Körperverletzung, Stalking, Nötigung, Bedrohung, Vergewaltigung, sexualisierte Übergriffe oder starben durch die Hand ihres Partners oder Ex-Partners. Die Statistik der Polizei erfasst aber nur das Hellfeld, also Taten, von denen die Strafverfolgungsbehörden erfahren.
Großes Problem: Neue Wohnung finden
Wenn jeder jeden kennt, sei es schwerer einzuschreiten, sagt Bea Siegfriedt. Sie berät seit anderthalb Jahren Frauen in Niebüll, einer 10.000-Einwohner-Stadt in Nordfriesland. "Wenn man in der Großstadt das Gefühl hat, bei den Nachbarn kommt es zu gewalttätigen Konflikten, ruft man eher mal die Polizei. Den Nachbarn auf dem Land kennt man jedoch meistens gut, vielleicht spricht man jeden Tag über den Gartenzaun mit ihm und danach muss man weiter neben ihm leben."
Siegfriedts Beratungsstelle bietet Online-Beratungen an, aber auch das ist nicht immer einfach: "Das W-Lan auf dem Land muss besser werden." Eine große Schwierigkeit für Frauen, die sich aus einer gewalttätigen Beziehung lösen wollen, ist, ein neues Zuhause zu finden: "Probleme bei der Wohnungssuche sind hier gang und gäbe."
Auch in der Region um München stünden die Frauen als erstes vor der Frage, wohin sie gehen könnten, wenn sie sich trennen wollten, sagt Angela Rupp, Geschäftsführerin des Vereins "Frauen helfen Frauen im Landkreis Ebersberg". Ein Frauenhaus gebe es im Landkreis nicht und bezahlbare Wohnungen seien knapp.