Die ältere Dame ist die erste, die am Sonntag um kurz vor 10 Uhr die evangelische Friedenskirche im Zooviertel von Hannover betritt. Florian Oppermann kommt ihr entgegen und begrüßt sie. "Herzlich willkommen. Nehmen Sie Platz", sagt Oppermann, der heute den Gottesdienst leitet. Der 30-Jährige ist von Beruf kein Pastor, sondern theoretischer Physiker. Seit rund einem Jahr gestaltet er in der Friedenskirche ehrenamtlich Gottesdienste und trägt selbstgeschriebene Predigten vor. "Ein guter Ausgleich", findet er. Dafür zieht er auch einen Talar an, der sich nur in manchen Details von dem eines Pastors unterscheidet.
Oppermann ist jetzt Prädikant, vorher war er vier Jahre Lektor. Lektorinnen und Lektoren dürfen nur Predigten vortragen, die sie nicht selbst verfasst haben. "Da hat mir noch viel gefehlt, weil ich die Predigt für mich als wichtigen Teil im Gottesdienst empfinde", sagt er.
Für beide Ehrenämter müssen Interessierte Ausbildungen durchlaufen - mit Wochenendtreffen, theologischer Begleitung und eigener Vor- und Nachbereitung. In der evangelischen Landeskirche Hannovers engagieren sich so rund 1.900 Menschen im ehrenamtlichen Verkündigungsdienst. Weniger, nämlich rund 1.600 Pastoren und Pastorinnen, arbeiten nach Angaben der Landeskirche im aktiven Dienst.
Oppermann beginnt mit der Gottesdienstvorbereitung immer ein paar Monate vorher, wie er sagt. An diesem Tag hat er die letzten Details erst anderthalb Stunden vor dem Glockenläuten geändert. "Gute Formulierungen brauchen Zeit", sagt er. Liturgie und Predigt liest er nicht von Papierseiten, sondern vom iPad.
Die Predigt handelt von einer armen Witwe, die zwei kleine Kupfermünzen in den Opferkasten des Tempels in Jerusalem wirft und damit laut Jesus trotzdem mehr gibt als alle anderen: "Die Reichen haben aus ihrem Überfluss gegeben. Die arme Witwe hingegen gibt alles, was sie hat", sagt Oppermann. Die Frau zeige, dass sich der Glaube in den eigenen Taten spiegeln müsse.
Dass am Gottesdienst an diesem Tag nur zwölf Menschen teilnehmen, ficht Oppermann nicht an. "Die Gemeinde gibt mir immer viel zurück." Die Kirche werde sich verändern, wenn sie weniger Mitglieder habe, und mit ihr auch die Gottesdienste, ist Oppermann überzeugt. Daher probiere er auch neue Formate aus, etwa Gottesdienste im Team oder mit interaktivem Impuls statt Predigt. "Ich möchte einfach meinen bestmöglichen Beitrag zu diesem Wandel der Kirche leisten."
Auch das Lektorenamt sei keineswegs nur ein erster Schritt, um vielleicht später als Prädikantin oder Prädikant eigenen Predigten vorzutragen, sagt Pastorin Vera Pabst, landeskirchliche Beauftragte für beide Ehrenämter. "Der Lektorendienst ist ein Ehrenamt von eigenem Wert und eigener Würde", betont sie. Die Aneignung einer sogenannten Lesepredigt sei ein sehr persönlicher Prozess. Carola Schaller, seit einem Jahr Lektorin in der Kirchengemeinde Dörverden bei Bremen, stimmt dem zu: "Als wir uns in unserem Kurs den Texten angenähert haben, war das hochemotional. Ich habe gar nicht erahnt, dass das so viel Freude macht."
Ehrenamtliche sollen Pastor:innen entlasten im Verkündigungsdienst
Vera Pabst begrüßt es, dass Ehrenamtliche im Verkündigungsdienst Pastorinnen und Pastoren zunehmend entlasteten. Sie seien aber "keine Notnägel oder Lückenbüßer", sondern stärkten die Vielfalt in der Gottesdienstkultur. "Darin liegt die Chance, die Gemeindearbeit anders aufzustellen."
Die Wertschätzung für das verkündigende Ehrenamt habe mit den Jahren zugenommen, meint auch Horst-Dieter Niermann, der seit 2006 Prädikant ist. Der pensionierte Berufssoldat leitet mehr als dreißig Gottesdienste im Jahr, unter anderem in seiner Heimatkirche in der Osnabrücker Paulusgemeinde. Zudem ist er Kirchenkreis- und Sprengelsprecher für Lektorinnen und Prädikanten. Die wachsende Anerkennung zeige sich im täglichen Miteinander, aber auch kirchenrechtlich, sagt Niermann. So dürfen Prädikanten seit 2014 Abendmahlsfeiern leiten. Das bedeutet Niermann viel: "Beim Abendmahl spüre ich die Nähe zu Jesus ganz besonders. Mir läuft jedes Mal ein leichter Schauer den Rücken runter."