"Ackermatch" nennen die Beteiligten, darunter vereinzelt auch Frauen, diese Prügelorgien. Wer hier mitmacht, gehört meist zu den sogenannten Hooligans, von denen viele ohnehin Kampfsport betreiben; es sind aber durchaus auch brave Familienväter dabei. Für die Auseinandersetzungen gilt im Grunde nur eine Regel: Waffen sind tabu. Als ein junger Mann nach einem Saar/Pfalz-Derby in der Tür zur Notaufnahme zusammenbricht, ist rasch klar, dass irgendjemand gegen den Ehrenkodex verstoßen hat: Ein gezielter Messerstich hat die Oberschenkelarterie durchtrennt.
Auf der Basis dieses Handlungskerns ließe sich schon mal ein guter Krimi erzählen. Aber Autorin Melanie Waelde, ebenso wie Regisseurin Kerstin Polte Sonntagskrimi-Debütantin, hat einen cleveren Weg gefunden, um den personellen Schwerpunkt des "Tatort" aus Saarbrücken zu verlagern.
Die ersten drei Filme (Autor: Hendrik Hölzemann) haben sich größtenteils auf die gemeinsame Vergangenheit der Kommissare Hölzer und Schürk (Vladimir Burlakov, Daniel Sträßer) fokussiert, die durch ein gemeinsames Schicksal zusammengeschweißt worden sind; ihre beiden Kolleginnen waren im Grunde bloß bessere Stichwortgeberinnen.
Das ändert sich mit "Die Kälte der Erde" deutlich, denn nun vermischen sich auch bei Esther Baumann (Brigitte Urhausen) Beruf und Privatleben: Die Hauptkommissarin ist, was die anderen Team-Mitglieder bislang nicht wussten, glühender Fußballfan. Die Menschen, mit denen sie regelmäßig zu den Heimspielen des (fiktiven) Clubs TRS Saarbrücken pilgert, haben wiederum keine Ahnung, dass sie für die Kripo arbeitet, weshalb die einen schließlich so verblüfft reagieren wie die anderen; manche allerdings noch ein bisschen mehr, denn mit der Polizei will man in diesen Kreisen nichts zu tun haben. Das macht auch die Ermittlungen so schwierig: Die Hooligan-Gruppen hassen sich bis aufs Blut; aber gegen die Ordnungshüter halten sie zusammen.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Auf einer zweiten Ebene erzählt Waelde die horizontale Geschichte weiter. Im vorangegangenen Film ("Das Herz der Schlange") hatte Adam Schürk die Beute aus einem Bankraub gefunden, den sein verstorbener Vater gemeinsam mit einem Komplizen begangen hatte. Dieser Mann, "Onkel Boris" (Stephan Bissmeier), sitzt zwar im Gefängnis, will aber das Geld und hat Adam einen jugendlichen Ganoven auf den Hals gehetzt. Die zwei Erzählstränge laufen eine ganze Weile nebeneinander her, überschneiden sich schließlich jedoch auf sehr überraschende Weise.
Bis dahin sucht das Quartett (Nummer vier ist Ines Marie Westernströer als Kommissarin Pia Heinrich) den Mörder des verbluteten Andi unter den gegnerischen Hooligans, zu denen unter anderem ein Mann aus Saarbrücken gehört; und der ist seit einer Schlägerei mit Andi halbblind. Eine spezielle Rolle spielt auch eine weibliche Schlägerin (Bineta Hansen), die mit viel Wut im Bauch gewissermaßen repräsentiert, was Regisseurin Polte ein wichtiges Anliegen war: eine Geschichte mit unstereotypen Frauenfiguren zu erzählen.
Die Gastmitglieder des Ensembles sind weitgehend unbekannt, aber optisch markant und darstellerisch überzeugend. Die intensiv gefilmten Prügelszenen sind allerdings nichts für empfindsame Gemüter.
Neben dem interessanten Drehbuch imponiert "Die Kälte der Erde" nicht zuletzt durch die Inszenierung. Polte war schon bei der Lektüre klar, dass sie die Geschichte als "Industrie-Western" erzählen wollte, "indem wir unter glatte Oberflächen tauchen und so das Rohe, Verborgene, Unperfekte, Verletzliche in Menschen und Landschaften aufspüren". Entsprechend wichtig ist der Schauplatz für den mehrfachen Schlagabtausch: Die beiden Gruppen treffen sich in einer Industriebrache, und natürlich kommt es hier auch zum abschließenden Showdown.
Die dritte entscheidende Frau neben der Autorin und der Regisseurin ist Christiane Buchmann, deren Bildgestaltung einen reizvollen Kontrast zum martialischen Treiben darstellt: Für einen Krimi ist der Film überraschend bunt, die Anmutung ist hell und freundlich. Darüber hinaus erfreut die Handlung immer wieder durch Kleinigkeiten am Rande, die verdeutlichen, dass allen Beteiligten ein besonderes Werk vorschwebte.