Vor 20 Jahren blickte die Welt voller Sorge auf den Irak, nach Washington und auf die UN. Konnte ein Krieg noch verhindert werden? Laut der US-Regierung von George W. Bush drohte Iraks Staatschef Saddam Hussein mit Massenvernichtungswaffen. Er halte sich nicht an UN-Resolutionen. Militärische Vorbereitungen für eine US-Invasion liefen. Weltweit demonstrierten Menschen gegen einen drohenden Krieg.
Mit den USA verbündete Regierungen debattierten über die Warnung vor chemischen, biologischen und atomaren Waffen in den Händen des Diktators in Bagdad. Es gab Zweifel an einem Militärschlag, vermutete man doch, dass manche Regierungsvertreter den Vorwurf "Massenvernichtungswaffen" als Vorwand nutzen wollten, um Saddam Hussein zu entmachten und das Machtgefüge im Nahen Osten und in der Welt des Erdöls neu zu gestalten.
Der im Herbst 2021 verstorbene damalige US-Außenminister Colin Powell galt als ehrenwerter Mann, der sich an Fakten orientiert. Er sollte und wollte am 5. Februar 2003 mit einer Rede vor dem UN-Sicherheitsrat internationale Unterstützung für eine Invasion in den Irak gewinnen. Ein "massives geheimes Atomwaffenprogramm" existiere im Irak, erklärte Powell in einer 76 Minuten langen Multimediashow mit Tonbandaufzeichnungen, Satellitenaufnahmen und Zeichnungen von angeblichen mobilen Laboren für biologische Kampfstoffe.
Behälter mit weißem Pulver
Powell zeigte den Diplomaten und Fernsehkameras einen kleinen Glasbehälter mit einem weißen Pulver, um die Gefahr des Milzbrand-Erregers zu betonen. Was er sage, "gründet sich auf Fakten und Schlussfolgerungen aus solider Geheimdienstarbeit." Er schlussfolgerte: Saddam Hussein werde vor nichts haltmachen, "bis ihn jemand stoppt". Heute weiß man: Powells Informationen stimmten nicht, Geheimdienstmitarbeiter hatten sie manipuliert. "Lügen", urteilten Kritiker.
Der erste schwarze US-Außenminister sprach 2005 im Fernsehsender "ABC" in Bezug auf seinen Auftritt vor dem UN-Sicherheitsrat rückblickend von einem "Schandfleck". Die Rede habe seinem Ruf geschadet. Manche Geheimdienstmitarbeiter hätten gewusst, dass die Quellen nicht stimmten, hätten ihm das aber nicht gesagt.
Außenminister Fischer: "Nicht überzeugt"
Am 5. Februar 2003 aber hat Powell mit seiner Präsentation viele beeindruckt. Man könne sich nicht vorstellen, dass jemand "daran zweifeln könnte, dass Irak Massenvernichtungswaffen besitzt", kommentierte die Hauptstadtzeitung "Washington Post". Wer nichts gegen Saddam Hussein tun wollte, geriet in Verruf. US-Präsident George W. Bush schrieb in seinen Erinnerungen, Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel habe ihm gesagt, er habe eine moralische Verpflichtung "gegen das Böse zu handeln".
"I am not convinced", ich bin nicht überzeugt, ist wohl die bekannteste Aussage in der Reaktion des damaligen Außenministers der Bundesrepublik, Joschka Fischer (Grüne). Er sprach drei Tage nach der Powell-Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz in Anwesenheit von US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld. Die Bundesregierung unter SPD-Kanzler Gerhard Schröder wollte sich an einem Angriffskrieg nicht beteiligen.
Sechs Wochen nach der Rede, am 20. März 2003, begann der Krieg, ohne UN-Mandat. Unter Führung der USA marschierten Streitkräfte ein und bombardierten. Bagdad wurde am 9. April eingenommen, die große Saddam- Hussein-Statue gestürzt. Ende 2003 wurde der Diktator festgenommen, 2006 hingerichtet. Im Jahr 2011 zogen die letzten US-Soldaten ab. Die Informationen über das Gefängnis von Abu Ghraib, wo US-Soldaten irakische Häftlinge folterten, sorgten 2004 für Entsetzen.
Aber: Es wurden keine Massenvernichtungswaffen gefunden. Im Nachhinein maß Powell seiner Präsentation vom Februar 2003 eine nicht so hohe Bedeutung zu: Bush habe sich bereits davor zum Angriff entschlossen: "Die Würfel waren gefallen", sagte Powell dem Fernsehsender PBS. Es bleibt unklar, wie viele Menschen an den Folgen des Krieges gestorben sind. Das Forschungsinstitut "Watson Institute" an der US-amerikanischen Brown University hat berechnet, dass bis 2019 zwischen 275.000 und 306.000 Zivilisten infolge der Gewalt des Krieges umgekommen sind.
Die Falschbehauptungen der US-Regierung zu Massenvernichtungswaffen sollten Glaubwürdigkeitsprobleme bringen. Als US-Präsident Joe Biden Anfang 2022 mit Verweis auf geheimdienstliche Erkenntnisse vor dem russischen Angriff auf die Ukraine warnte, erntete er streckenweise Skepsis. Bei einer Pressekonferenz am 11. Februar 2022 drängte Sicherheitsberater Jake Sullivan US-Bürger in der Ukraine wegen der Kriegsgefahr zur Abreise "in den nächsten 24 bis 48 Stunden". Ein Reporter fragte nach mehr Beweisen über die angeblich drohende Gefahr - angesichts der "Erfahrungen mit Irak".
Es gebe einen "fundamentalen Unterschied zwischen der Situation im Irak und der Situation heute", entgegnete Sullivan. Biden wolle einen Krieg verhindern. 2003 habe die Regierung "nachrichtendienstliche Erkenntnisse benutzt ... um einen Krieg anzufangen".