Der Leiter des landeskirchlichen Ökumenereferats, Oberkirchenrat Michael Martin, ist dort viele Male gewesen. Den Papstbesuch bezeichnet er im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) als "wichtiges Zeichen der christlichen Solidarität".
epd: Die Abwanderung der Christen aus dem Gebiet ist krass. Es werden dort wohl nur noch 200.000 Christen gezählt. Kann ein Papstbesuch da etwas bewirken?
Michael Martin: Ja, die Abwanderung in den letzten Jahren war extrem. Das hatte verschiedene Gründe, von Giftgasangriffen Saddam Husseins auf den Nordirak in den 80er Jahren bis zum Vordringen des IS im letzten Jahrzehnt. Viele Christen sind innerhalb des Iraks mehrmals zu Flüchtlingen geworden. Aus manchen Regionen sind die Christen nahezu gänzlich abgewandert. Die ehemals blühenden Gemeinden in Bagdad und Mossul sind nahezu verwaist. Aber es gibt eine Perspektive für die Christen vor allem im Nordirak. Im Umfeld von Erbil werden sogar ganz neue Kirchen gebaut.
Im Irak steht tatsächlich eine fast 2.000-jährige Geschichte der Christen mit einmaliger Kloster- und Kirchenkultur auf dem Spiel. Da kann der Papstbesuch sehr viel bewirken, denn für die Christen ist so ein Besuch - übrigens wie alle Besuche dort - ein deutliches Zeichen: Ihr seid nicht alleine. Wir gehören zusammen. Die anderen Christen weltweit haben euch nicht vergessen. Es ist sehr gut, dass der Papst diesen Besuch auf sich nimmt und dort Hoffnung verbreitet, wo diese oft zu schwinden droht.
"2.000-jährige Geschichte der Christen steht auf dem Spiel"
Wie schätzen Sie den Besuch des Papstes im Irak ein: Hätten Sie ihm dazu geraten, jetzt zu reisen, wo doch Anschläge immer zu befürchten sind?
Martin: Der Besuch des Papstes ist ein extrem wichtiges Zeichen der christlichen Solidarität. Wir gehören - auch als Kirchen verschiedenster Denominationen - alle zu der einen Kirche Jesu Christi, für die gilt, wo ein Glied leidet, leiden alle mit. Das genau wird der Papst bei seinem Besuch deutlich machen und so ein Zeichen der Hoffnung für die Christen und alle Menschen im Irak aussenden. Ich hätte ihm unbedingt zu diesem Besuch geraten, gerade jetzt. Die Menschen in der Region brauchen ein Signal der Hoffnung und eine Perspektive. Die Gefahr von Anschlägen im Nordirak ist eher gering. Es gab zwar unlängst einen Angriff auf den Flugplatz in Erbil, aber ansonsten ist der Nordirak von den Kurden gut gesichert. Schwieriger ist es da schon in der Niniveh-Ebene mit ihren alten christlichen Siedlungen, wo der Einflussbereich der Kurden endet und der des Zentraliraks beginnt. Außerdem sind westlich von Mossul noch immer viele Attentäter unterwegs, warum auch eine Rückkehr nach Mossul für viele Christen bisher nicht möglich war. Ich gehe aber davon aus, dass der Papst die besonders gefährlichen Gebiete meiden und von Sicherheitsleuten auch gut beraten wird.
Woher kommt die enge Verbindung zwischen der bayerischen evangelischen Landeskirche und dem Irak?
Martin: Die Verbindung der evangelischen Kirche in Bayern mit den Christen im Nahen Osten geht zurück auf die große Zahl von christlichen Flüchtlingen in den 80er und 90er Jahren des letzten Jahrhunderts. Sie kamen damals hauptsächlich aus dem Tur Abdin, einer Hochebene im Südosten der Türkei, wo sie zwischen die Fronten von türkischem Militär und PKK-Kämpfern geraten sind. Viele von ihnen wurden vornehmlich in Augsburg aufgenommen. Heute würde man sagen, das war ein Resettlement-Programm.
"Menschen brauchen Signal der Hoffnung"
Wie häufig stehen Sie seit Corona mit den Partnern im Irak in Kontakt?
Martin: Es gibt intensive Beziehungen hauptsächlich über Archimandrit Emanuel Youkhana, der die Hilfsorganisation CAPNI in Dohuk leitet. Auch über den Lutherischen Weltbund, der sich dort - nicht zuletzt auf unsere Initiative - vor allem in der Flüchtlingsarbeit mit eigenen Organisationsstrukturen engagiert, haben wir gute Kontakte. Da CAPNI in der Zeit des Vordringens des IS in den Irak Nothilfe geleistet hat, die auch Jesiden und Muslime einschloss, haben wir nicht nur zu Christen in deren Dörfern und bei deren Rückkehr in ihre angestammten Wohngebiete in der Niniveh-Ebene Kontakt, sondern auch zu Jesiden, von denen noch immer viele in Flüchtlingslagern im Nordirak leben.
Wie in fast jedem Jahr planen wir auch in diesem Sommer wieder eine Reise in den Nordirak, bei der wir die Projekte besuchen, die Situation vor Ort genau erkunden und vor allem persönliche Kontakte mit den Menschen vor Ort knüpfen werden. Unser großes Anliegen ist, dass die uralte christliche Kultur im Irak auch weiterhin Bestand haben wird und nicht alle Christen zu Flüchtlingen werden. In den letzten Jahren konnte ein Netzwerk von Unterstützern aufgebaut werden, an dem Kirchen und Einrichtungen aus Ungarn und Schweden genauso beteiligt sind wie katholische Einrichtungen und Diözesen sowie einige Landeskirchen in Deutschland.
"Planen in diesem Sommer wieder eine Reise in den Nordirak"
Mit wie viel Geld hat die evangelischen Landeskirchen im vergangenen Jahr die Christen im Irak unterstützt?
Martin: Im Jahr 2020 hat die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern für unsere Partnerorganisation CAPNI (Christian Aid Programm Northern Iraq) insgesamt 1,3 Millionen Euro aufgewendet. Das größte Projekt ist der Wiederaufbau von Gemeinden im Nahla-Tal im Norden des Irak. An Projekten des Lutherischen Weltbunds zur Flüchtlingshilfe und zum Wiederaufbau im Nordirak wurden 2020 über Act-Alliance rund mehr als eine Million Euro zur Verfügung gestellt. Insgesamt haben wir also im vergangenen Jahr für Projekte im Nordirak 2,4 Millionen Euro aufgewendet, wobei Mittel zur Flüchtlingshilfe nicht nur für Christen eingesetzt wurden - was übrigens für das Zusammenleben der verschiedenen Ethnien und Religionen im Irak sehr wichtig ist und als Konzept auch von unserer Partnerorganisation CAPNI voll und ganz unterstützt wird.