Bei der Obduktion stellt sich raus, dass der keineswegs zuckerkranke alte Fritz Opfer einer Überdosis Insulin geworden ist. Nun sind Morde im Seniorenheim ein zwar wenig geläufiges, aber durchaus nicht ungewöhnliches Krimisujet, dieser Stoff allein würde also nicht reichen, um "Lenas Tante", den 77. "Tatort" mit Ulrike Folkerts, zu einem besonderen Film zu machen.
Doch da ist ja noch die Titelfigur: Die pensionierte Staatsanwältin Niki Odenthal (Ursula Werner) entpuppt sich als Nervensäge, die kein Verständnis dafür hat, dass ihre Nichte immer noch in der finstersten Provinz versauert, obwohl sie ihre Karriere angesichts des bisherigen Erfolges längst in der Landeshauptstadt fortsetzen müsste. Natürlich mischt sich die Tante, die zu ihrer aktiven Zeit einen "Ruf wie Donnerhall" genoss, auch in die Ermittlungen ein, aber das durchaus nicht ohne Eigennutz: Die Vogelkamera eines Heimbewohners offenbart, dass die alte Dame schon längst in der Stadt war, als Lena sie vom Bahnhof abgeholt hat. Offenbar hat sie Herrweg kurz vor dessen Tod einen Besuch abgestattet. Aber warum?
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Stefan Dähnert schreibt schon seit über dreißig Jahren regelmäßig Drehbücher für die Sonntagskrimis aus Ludwigshafen; von ihm stammt unter anderem die Vorlage für den Odenthal-Klassiker "Tod im Häcksler" (1991). Diesmal dauert es allerdings eine ganze Weile, bis seine Geschichte endlich zum eigentlichen Thema kommt. Dann jedoch nimmt der Film eine gänzlich unerwartete Wende, an der Tante Niki, die das Heim angeblich als Altersruhesitz in Erwägung zieht, maßgeblichen Anteil hat. Etwa bis zur Hälfte tut der Film so, als ginge es in "Lenas Tante" in erster Linie um Pflegenotstand und Pflegebetrug: Odenthals Kollegin Johanna Stern (Lisa Bitter) vermutet, die Heimleiterin (Cristin Busse) sediere ihre Schutzbefohlenen, wenn ein Besuch des medizinischen Dienstes bevorsteht, damit die alten Leute einen höheren Pflegegrad bekommen und das Heim mehr Geld erhält. Vor diesem Hintergrund wäre Odenthals Besuch bei Herrwegs Enkel (Niklas Kohrt), einem verschwörungsgläubigen Holocaust-Leugner, bloß ein skurriler Exkurs, aber die Trauerfeier inklusive eines Kranzes mit dem SS-Wahlspruch "Meine Ehre heißt Treue" sowie ein Abstecher Sterns zur elsässischen KZ-Gedenkstätte Natzweiler-Struthof lassen keinen Zweifel mehr daran, dass Dähnerts Drehbuch ein ganz anderes Ziel hat.
Regie führte der ansonsten vor allem Schauspieler tätige Tom Lass, der mit "Lenas Tante" nach verschiedenen Kinofilmen sowie Episoden für die Serien "Druck" (funk) und "Liebe.Jetzt!" (Neo, 2020) seinen ersten Fernsehfilm gedreht hat. Seine Inszenierung setzt keine auffälligen Akzente, aber die Bildgestaltung durch den SWR-Kameramann Michael Merkel ist sorgfältig, die Kammermusik ist interessant und passt prima zur Handlung, und die Arbeit mit dem Ensemble ist durchweg gut.
Ursula Werner hat spürbar Spaß an ihrer Rolle als eigenwillige Pensionärin, die das Revier mit Anekdoten unterhält und zu allen einen guten Draht hat; außer zu ihrer Nichte. Dabei ist gerade Lena der Tante zu tiefstem Dank verpflichtet, wie Dähnert verrät. Nicht minder sehenswert sind die weiteren Mitwirkenden. Sehr präsent ist Maja Zeco als Altenpflegerin, die sich vor nichts sich fürchtet, weil sie aus Bosnien stammt.
Rüdiger Vogler spielt Herrwegs Zimmernachbarn, der angesichts seiner angeblich erheblichen Pflegebedürftigkeit erstaunlich vital ist und sich über den nun freigewordenen Fensterplatz freut, Dieter Schaad einen weiteren Heimbewohner, dessen Super-8-Film von den Grauspechten vor seinem Fenster Lena überhaupt erst darauf bringt, dass Tante Niki in die Sache verwickelt ist. Als es zu einem weiteren Todesfall kommt, gerät die alte Dame gar in Mordverdacht. Wenig zielführend ist allein das romantische Geplänkel zwischen Stern und dem Arzt, der den Totenschein ausgestellt hat: Hanno Roters (Johannes Dullin) wirkt überhaupt nicht wie ein Mann, der die Kommissarin aus dem Konzept bringen könnte, aber die Wege der Liebe sind natürlich unergründlich. Der Beitrag dieses zum Teil unnötig ausführlich erzählten Handlungsstrangs zur Wahrheitsfindung ist dennoch recht überschaubar.