Woran denken Sie als Erstes, wenn Sie an die deutsch-französische Freundschaft denken?
Brigitte Klinkert: Wenn ich an die deutsch-französische Freundschaft denke, denke ich zuerst an Europa, weil Deutschland und Frankreich als Motor für Europa funktionieren. Für mich ist von großer Bedeutung, dass Deutschland und Frankreich gut zusammenarbeiten. Danach würde ich an unsere Grenzregionen und unsere Geschichte denken. Die deutsch-französische Freundschaft steht seit mehr als 60 Jahren für Frieden.
Welche Bedeutung hatte die Unterzeichnung des Élysée-Vertrags am 22. Januar 1963?
Klinkert: Die Unterzeichnung des Élysée-Vertrags ist von sehr großer Bedeutung. Der Vertrag ist der Pfeiler der deutsch-französischen Freundschaft. Das ist der Anfang des deutsch-französischen Tandems und des Motors für Europa. Wir sind ein Modell in der ganzen Welt dafür, dass wir uns nach dem Zweiten Weltkrieg wieder treffen und zusammenarbeiten konnten. Aber natürlich können wir uns nicht auf dem Élysée-Vertrag ausruhen. Deswegen ist für mich auch der von Emmanuel Macron und Angela Merkel im Januar 2019 unterzeichnete Aachener Vertrag von großer Bedeutung.
Wie bewerten Sie den Aachener Vertrag?
Klinkert: Der Aachener Vertrag richtet den Blick in die Zukunft. Er bietet schöne, neue Perspektiven für beide Seiten der Grenze. Zentral ist, dass man Kräfte bündelt und für unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger zusammenarbeitet. Ich komme aus dem Elsass, einer Grenzregion. Für mich leben wir im selben Lebensraum - zwischen Vogesen und Schwarzwald. Das Ziel des Vertrags ist die Schaffung eines starken und handlungsfähigen Europas. Deutschland und Frankreich müssen ein Motor für Europa sein.
"Für die Zukunft ist wichtig, dass junge Leute im Nachbarland leben und arbeiten können"
Der Aachener Vertrag beinhaltet sehr konkrete Projekte, die morgen den Alltag der Franzosen und Deutschen ändern werden. Dazu gehört eine Vorhabenliste mit 15 Einzelpunkten - darunter etwa die Bahnlinie zwischen Colmar und Freiburg. Auch setzt der Aachener Vertrag einen Schwerpunkt auf den Ausschuss für grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Das heißt, Vertreter der Regierungen, der Parlamente und der Gebietskörperschaften beider Länder treffen sich, um gemeinsame Weichenstellungen für die Zukunft vorzunehmen.
Als Ministerin für die berufliche Eingliederung habe ich mich für die grenzüberschreitende Berufsausbildung engagiert. Seit Dezember 2022 gibt es nun eine Verordnung und sie steht im französischen Gesetz. Für die Zukunft ist es wichtig, dass sich junge Leute treffen und im Nachbarland arbeiten sowie leben können.
Wie blicken Sie auf die deutsch-französischen Beziehungen aktuell?
Klinkert: Seit bald drei Jahren leben wir in der ganzen Welt in Krisen - die Corona-Krise, die Wirtschaftskrise, die Klimakrise, der Ukraine-Krieg. Diese Krisen sind wie ein Stresstest für die Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich. Ich erinnere mich noch, wie im Frühjahr 2020 die Grenzen geschlossen wurden. Das war für mich schrecklich. Ich habe geweint. Ich dachte nie, dass sich die Grenzen zwischen Deutschland und Frankreich jemals wieder schließen würden. Seitdem haben wir alles gemacht, dass sich das nicht mehr wiederholt. In dieser Zeit hat die deutsch-französische Kooperation aber auch viele Leben gerettet. So sind sehr viele Corona-Patienten aus Frankreich nach Deutschland verlegt worden. Das kann man mit keinem Geld der Welt bezahlen.
Ich freue mich sehr auf den 22. Januar, weil wir gemeinsam neue Projekte und Ideen angehen werden. So wird sich der deutsch-französische Ministerrat in diesem Jahr unter anderem mit der Sprache des anderen auseinandersetzen. Wenn man sich kennenlernen will, wenn man mit dem anderen gemeinsam etwas bauen will, muss man die Sprache und Kultur des anderen kennen. Die deutsch-französische parlamentarische Versammlung bringt in diesem Jahr ihre drei Arbeitsgruppen voran. Die Themen sind die Zukunft Europas, Energiesouveränität und eine harmonisierte Umsetzung europäischer Direktiven in unseren beiden Ländern.