Viele Rosenkränze
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Interkulturelle Gemeindeentwicklung ist ein Chance für die Kirche ist, findet die Bloggerin Nadia El Karsheh.
Interkulturelle Gemeinden
Warum nicht gemeinsam Kirche sein?
Die kulturelle Homogenität, die deutsche Durchschnittsgemeinden oft widerspiegeln, entspricht weder der realen Zusammensetzung der Kirchenmitglieder noch dem Neuen Testament, meint mission.de-Bloggerin Nadia El Karsheh und erklärt, warum interkulturelle Gemeindeentwicklung ein Chance für ihre Landeskirche ist.

Deutschland ist ein Einwanderungsland. Es hat lange gedauert, bis diese Tatsache auch offiziell politisch Anerkennung gefunden hat. Aber während ich diese Zeilen schreibe, wird in Berlin um eines der modernsten Einbürgerungsgesetze der Welt gerungen – endlich! Als ich Kind war und mein Vater, 1965 nach Deutschland gekommen, immer wieder vor der Frage stand: "Deutscher werden oder Ausländer bleiben?", hätte meine Mutter noch nachweisen sollen, dass ihre Urgroßeltern Deutsche waren. Das war erstens absurd – erinnerte es doch an finstere Arier-Nachweiszeiten – und zweitens unmöglich, da sämtliche Unterlagen vermutlich irgendwo in einem Kleingarten in Kaliningrad vergraben waren. Dazu kamen erhebliche Kosten, was alles in allem dazu führte, dass mein Vater erst in den 90er-Jahren die deutsche Staatsbürgerschaft annahm, als sich die Gesetzgebung zum ersten Mal etwas lockerte.

Nun kommt es also langsam im Bewusstsein an: In Deutschland sind Menschen unterschiedlichster Herkunft und unterschiedlichster kultureller Hintergründe zu Hause, und wenn wir in Zukunft nicht auf Wohlstand und wirtschaftliche Stärke verzichten wollen, dann wird unsere Gesellschaft noch vielfältiger werden. Noch später als in der Politik ist diese Erkenntnis in unseren Volkskirchen angekommen, obwohl diese doch so heißen, weil sie die Bevölkerung repräsentieren wollen und nicht etwa ein einziges Volk. Der sichtbare Gemeindealltag kommt häufig kulturell so homogen daher, dass der Eindruck entsteht, da gäbe es gar keine Gemeindeglieder mit Migrationshintergrund. Dabei verändert sich die deutsche Gesellschaft nicht erst seit gestern.

Nach dem Mikrozensus Deutschland hatten im Jahr 2020 26,7 Prozent aller Einwohner:innen in Deutschland einen Migrationshintergrund, bei den Kindern unter fünf Jahren waren es schon 40,3 Prozent. Viele denken dabei sofort an Menschen islamischen Glaubens. Tatsächlich aber sind nach einer Studie der EKD von 2020 gut die Hälfte von ihnen Christ:innen. So ist es auch nicht verwunderlich, dass laut derselben Studie jetzt schon etwa 14 Prozent der Mitglieder der evangelischen Landeskirchen Menschen mit Migrationsgeschichte sind!

Ein aufmerksamer Blick in die Gemeindekartei

Die kulturelle Homogenität, wie sie das Leben der landeskirchlichen Durchschnittsgemeinde weitgehend widerspiegelt, entspricht also weder der gesellschaftlichen Wirklichkeit noch der realen Zusammensetzung ihrer Mitglieder. Ein aufmerksamer Blick in die Gemeindekartei ist sehr spannend und hat schon so manchen Kirchenvorstand in Erstaunen versetzt.

Was für mich aber viel entscheidender ist: Kulturelle Homogenität widerspricht auch dem, was das Neue Testament von der frühen Kirche erzählt: Die Ausbreitung der Kirche war von Anfang an ein transkultureller Prozess. Das Pfingstwunder erzählt überschwänglich von der Überwindung der Sprach- und Kulturgrenzen durch das Wirken der Heiligen Geistkraft. Paulus hat in den "Melting Pots" der Antike, in Städten wie Korinth, Ephesus, Rom, Menschen unterschiedlichster kultureller Herkunft für den christlichen Glauben begeistert. Interkulturalität gehört zur DNA der Kirche. Eigentlich schade, dass wir dies in der Kirche vorrangig erst durch den Schwund unserer Mitglieder zur Kenntnis nehmen. Immerhin tut sich etwas. Viele Landeskirchen nehmen das Thema Interkulturelle Kirchenentwicklung inzwischen sehr ernst und bearbeiten es unter verschiedenen Fragen.

Was, wenn Kulturen aufeinanderprallen?

Zum einen geht es um die Ebene der Gemeindeentwicklung: Wie können Kirchengemeinden in kultureller Hinsicht bunter und vielfältiger werden? Wie müssen sie sich verändern, damit sie auch für ihre Mitglieder mit Migrationshintergrund ein geistliches Zuhause werden können? Da ist zuallererst die Frage nach der Willkommenskultur einer Gemeinde. (Wie) werden Menschen eigentlich begrüßt, die einen Gottesdienst mitfeiern wollen? Ist im Anschluss noch Zeit für Begegnung für Gespräche, für ein gemeinsames Essen? Hierüber nach- und neu zu denken, wäre wahrscheinlich für alle Gemeindeglieder ein Gewinn! Und weiter: Wie geht Mehrsprachigkeit in Gottesdiensten und Gemeindeveranstaltungen oder zumindest eine leichtere Verständlichkeit der Predigt und der Liturgie? Wie könnte interkulturelle Kirchenmusik aussehen? Wie können Erwachsene anderer kultureller Herkunft, die sich taufen lassen wollen oder die schon in der Gemeinde getauft wurden, besser Teil der Gemeinschaft werden? Das betrifft seit 2014/15 vor allem die vielen aus dem Iran stammenden Menschen, die Anschluss an Kirchengemeinden suchen und manchmal auch gefunden haben.

Und dann ist da noch die wichtige Frage nach den eigenständigen internationalen Kirchengemeinden, von denen viele Probleme haben, geeignete Räume für ihre Gottesdienste zu finden. Die meisten dieser Gemeinden feiern ihre gut besuchten Gottesdienste in irgendwelchen leerstehenden Gewerbegebäuden, während kirchliche Gebäude in ihrer Nachbarschaft oft sehr wenig genutzt werden. Interkulturelle Gemeindeentwicklung meint auch, verstärkt auf diese Gemeinden zuzugehen und über eine gemeinsame Nutzung der Kirchen und der Gemeinderäume nachzudenken. Selbst wenn das manchmal bedeutet, dass hier verschiedene (Gottesdienst-)Kulturen aufeinanderprallen.

Vorbilder für interkulturelle Gemeindeentwicklung

Jede Kirchengemeinde ist unterschiedlich. Deshalb wird es nicht das eine Konzept geben, nach dem interkulturelle Gemeindeentwicklung funktionieren kann. In der hannoverschen Landeskirche haben sich deshalb gerade drei Kirchengemeinden (zwei in Hannover und eine in Bremerhaven) zu einer auf fünf Jahre angelegten Lerngemeinschaft zusammengetan, um sich exemplarisch und modellhaft interkulturell-gemeindlich zu entwickeln. Dabei werden sie durch den Fonds Missionarische Chancen der Landeskirche gefördert.

Die drei unterschiedlichen Gemeinden nehmen in ihrem Profil verschiedene Aspekte der interkulturellen Gemeindeentwicklung in den Blick und sollen jeweils von den Erfahrungen der anderen profitieren. Die Lerngemeinschaft umfasst die folgenden Modelle von interkulturellen Gemeinden:

1. das gemeinsame Haus, d. h. eine "Lebensgemeinschaft" mit verschiedenen internationalen Gemeinden unter einem Dach (Auferstehungskirchengemeinde Hannover)
2. die interkulturelle landeskirchliche Gemeinde in einem kulturell sehr diversen Stadtteil (Bonhoeffergemeinde Hannover)
3. die internationale transkulturelle Profilgemeinde für den gesamten Kirchenkreis mit viel Erfahrung im Bereich Hilfe für Geflüchtete (Kreuzkirchengemeinde Bremerhaven)

Angesichts der oben beschriebenen gesellschaftlichen Realität können die Erfahrungen und Erkenntnisse der Lerngemeinschaft beispielhaft für die Landeskirche insgesamt sein und bieten eine Folie für gemeindliche Arbeit in unterschiedlichen Kontexten und Sozialräumen.

Unterschiedliche Perspektiven wahrnehmen

Wie das ganz praktisch aussehen kann, erlebe ich schon jetzt in meiner Arbeit. Hier zwei Highlights: Gerade bilden wir im ersten interkulturellen Lektor:innenkurs unserer Landeskirche elf engagierte Männer und Frauen aus, die aus dem Iran, dem Libanon, Ägypten und Vietnam stammen. Nur zwei der Teilnehmenden haben keinen Migrationshintergrund. Schon ein erster Austausch über die Frage: "Was ist meine erste Gottesdiensterinnerung" zeigte, wie einzigartig unsere Erfahrungen mit Kirche sind und wie sehr es sich lohnt, sich für unterschiedliche Perspektiven zu öffnen. Das Thema Vielsprachigkeit zieht sich in diesem Kurs natürlich wie ein roter Faden durch die Einheiten. Wir erleben, wie Lesetexte an Kraft gewinnen, wenn sie zum Beispiel als Collagen oder pantomimisch gestaltet werden.

Zweitens erlebe ich immer stärker, was für eine zentrale Rolle die Musik für ein interkulturelles Miteinander spielt. Im September fand in Hannover das christliche interkulturelle Musikfestival "Colours of Praise" statt. Sieben Bands aus verschiedenen internationalen Gemeinden in Hannover sorgten in unserem Kirchenzentrum für Begeisterung. Besonders ältere Gemeindeglieder konnten es kaum glauben, wie so viele junge Menschen aus unterschiedlichen Kulturen mit unterschiedlichen Hautfarben ganz selbstverständlich und voller Freude mit ihrer Musik ihren Glauben zum Ausdruck brachten. Eine ansteckende Erfahrung, die uns in der Kirchengemeinde dazu motiviert, eine interkulturelle Band zu gründen.

Und dann ist da noch die interkulturelle Kirchenentwicklung auf der Ebene der Kirchenleitungen: Wie schaffen wir es, dass auch sie bunter und kulturell diverser werden? Die Synode der EKD hat bei ihrer letzten Tagung beschlossen, die Bunderegierung aufzufordern, eine Art "interkulturelle Quote" für die Besetzung von politischen Gremien einzuführen. Hier nachzulesen.

Das ist ein wichtiger Gedanke, der sicher wesentlich glaubwürdiger gefordert werden könnte, wenn die Kirchen hier mit gutem Beispiel vorangehen würden. Ein gutes Ziel wäre es zum Beispiel, wenn Gemeindeglieder mit Migrationsgeschichte bei der Besetzung der Kirchenvorstände eine nennenswerte Rolle spielten. Es gibt noch viel zu tun.

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