Mal sind es überlastete Beschäftigte aus dem Gesundheitswesen, mal alleinerziehende Mütter, mal gestresste Manager, die nicht mehr wissen, wie sie Forderungen von Chefs und die Bedürfnisse der Angestellten unter einen Hut bringen sollen. Sie alle führt dieselbe Sorge nach Mainz in die Ambulanz des Leibniz-Instituts für Resilienzforschung: dass ständiger Stress und belastende Lebensumstände irgendwann eine psychische Erkrankung auslösen könnten.
In der Mainzer Forschungseinrichtung arbeiten Experten und Expertinnen wie Neurowissenschaftler, die den Geheimnissen psychischer Widerstandskraft auf die Spur kommen wollen. In der institutseigenen Ambulanz bieten sie außerdem Hilfesuchenden konkrete Unterstützung.
"Man darf nicht denken, dass resiliente Menschen wie Teflonpfannen sind, an denen alles abprallt", stellt die Leiterin Isabella Helmreich klar. Es gehe darum, dass möglichst niemand an schwierigen Lebensphasen zerbrechen sollte.
Anlass für Sorgen gibt es wohl auch 2023 genug: Folgen der Corona-Krise, Inflation und Energiekrise, Kriegsgefahr, Angst vor Umweltkatastrophen. Die beiden Coaches der Mainzer Resilienz-Ambulanz, Claudia Wenzel und Markus Birkenbach, erleben allerdings, dass seelische Belastungen nach wie vor insbesondere im unmittelbaren persönlichen Umfeld der Menschen entstehen. "Globale Faktoren können dann noch das Tüpfelchen auf dem I darstellen", sagt Wenzel.
Die Ambulanz organisiert in Kooperation mit Unternehmen und anderen Organisationen Workshops und Einzelcoachings für Beschäftigte, die online oder in Präsenz in dem nüchternen Bürogebäude gegenüber des Mainzer Hauptbahnhofs stattfinden. Grundsätzlich steht sie aber offen für alle Hilfesuchenden - allerdings nur zur Vorbeugung. "Wir ziehen eine klare Grenze zwischen Coaching und Psychotherapie", betont Markus Birkenbach. Bei einer akuten psychischen Erkrankung sollte stets der Weg zu einem Therapeuten gewählt werden.
Warum manche Menschen schwierige Lebensumstände und Krisen besser verkraften als andere, ist noch nicht abschließend geklärt. Ob Menschen über ein "dickes Fell" verfügen, ist nur zu einem Teil genetisch bedingt. Bei der Resilienzforschung handelt es sich um eine relativ junge wissenschaftliche Disziplin.
Kauai-Studie untersuchte Resilienz
Als wegweisend gilt die Langzeituntersuchung der amerikanischen Psychologin Emmy Werner, die über Jahrzehnte hinweg den Werdegang aller 1955 auf der Hawaii-Insel Kauai geborenen Kinder begleitete. In ihrer Kauai-Studie zeigte sie einen Zusammenhang zwischen Lebensweg und sozialer Herkunft auf, aber auch, dass ein Teil der Kinder trotz Armut und schwieriger familiärer Verhältnisse erfolgreich seinen Platz in der Gesellschaft fand. Offensichtlich hatten sie die Fähigkeit, schwierige Begebenheiten besser wegzustecken. Mit anderen Worten: Sie verfügten über Resilienz.
Körperliches Wohlbefinden und soziale Netzwerke gehören zu den Faktoren, die die mentale Widerstandskraft von Menschen entscheidend beeinflussen. Aber ganz so einfach ist es nicht, wie Ambulanz-Leiterin Helmreich erklärt: "Nicht jeder Mensch wird durch dieselben Dinge gestresst." Manchmal kämen gerade Personen mit chronischer Erkrankung oder Behinderung besser mit Krisen zurecht, weil sie in ihrem Leben bereits viele schwierige Lagen gemeistert und eine "Stressimpfung" durchlaufen hätten. Und es gebe immer wieder auch Menschen, die zwar über ein umfangreiches Netzwerk verfügten, sich aber in schwierigen Phasen trotzdem keine Hilfe suchten, um nicht schwach zu erscheinen.
Die Erfahrung zeige, dass auch Spiritualität und Religiosität für manche Menschen wichtige Stützen seien. "Es kann sehr hilfreich sein, wenn man an Gott glaubt", sagt Helmreich. Kontakte zu Mitgliedern der Gemeinden könnten ebenfalls über schwere Zeiten hinweghelfen. Doch es gebe auch die Gefahr, dass der Halt aus dem Glauben heraus abrupt wegbreche und dies eine Krise noch verschlimmere - vor allem dann, wenn sich besonders furchtbare Dinge wie der Tod des eigenen Kindes ereigneten, die die Menschen "Gott nicht verzeihen können".
Aus all diesen Überlegungen folgt für die Mainzer Resilienz-Ambulanz: Es gibt keine für alle gültigen Ratschläge, wie man mit Stresssituationen umgehen sollte. Was in jedem Fall helfe: Die Ressourcen einschätzen und klären, wer aus dem eigenen Umfeld einem guttue. Selbst Kleinigkeiten wie ein bewusster Blick aus dem Fenster hinaus ins Grüne könnten in manchen Krisenmomenten schon hilfreich sein, um mental wieder etwas zu Kräften zu kommen, rät Helmreich. Kontraproduktiv hingegen sei es, "ständig gegen die Wand zu laufen", sagt sie: "Resiliente Menschen können zwischen Situationen unterscheiden, die sich gut, vielleicht oder gar nicht verändern lassen."