epd: Das Jahr 2022 war auf vielen Ebenen herausfordernd: der Ukraine-Krieg, viele geflüchtete Menschen, die Energiekrise. Welche Rolle hat die Landeskirche inmitten dieser Krisen eingenommen?
Joachim Liebig: Als Landeskirche haben wir nicht gezielt Flüchtlingsunterkünfte zur Verfügung gestellt, allerdings sind an vielen Stellen erfreulicherweise völlig geräuschlos geflüchtete Menschen aus der Ukraine in kirchlichen Räumen untergekommen, etwa in Pfarrhäusern. Sie beteiligen sich auch am Gemeindeleben. Die meisten sind orthodox, es besteht aber doch eine Affinität zu unserer Kirche. Es gibt eine vorsichtige wechselseitige Annäherung und damit auch eine Akzeptanz für Menschen auf der Flucht bei uns in der Region.
Zu Beginn des Krieges in der Ukraine haben Sie zur Deeskalation und Verhandlungen mit Russland und der Ukraine aufgerufen. Sie äußerten auch die Überzeugung, dass die Ukraine Russlands Armee nicht standhalten kann. Wie stehen Sie heute dazu?
Liebig: An meiner früheren Einstellung hat sich in der Tat etwas geändert. Anfang 2022, als der Aufmarsch der russischen Armee voranschritt, hatte ich gesagt, man müsse der Ukraine von einer militärischen Reaktion abraten. Denn einen Krieg könne sie nicht gewinnen. Inzwischen teile ich die Überraschung vieler, dass zum einen die russische Armee viel schwächer ist als erwartet und zum anderen die ukrainische Armee stärker als gedacht.
Gleichzeitig weigere ich mich, eine Art Fachmann für Kriegsfragen zu werden. Dazu bin ich weder technisch in der Lage, noch sehe ich mich ethisch dazu berufen. Meiner Meinung nach sind Verhandlungen für Frieden, die irgendwann stattfinden müssen und auch werden, zwingend. Nach zehn Monaten Krieg ist der Aggressor jedoch nicht im Geringsten bereit, zu verhandeln. Stattdessen sagt Russland, wenn die westlichen Länder Waffenlieferungen einstellen und damit die Ukraine schwächen würden, dann wäre der Krieg schnell zu Ende. Die Ukraine müsste sich dann schlichtweg ergeben. So kann jedoch nur der Aggressor sprechen, um damit sein Kriegsziel zu erreichen. Russland ist der skurrilen Meinung, dass es ein moralisches Recht auf diesen Krieg gebe. Ich bin der Auffassung, dass die Ukraine weiterhin unterstützt werden muss.
Auch mit Waffenlieferungen?
Liebig: Das scheint im Moment notwendig zu sein. Ich habe dennoch Schwierigkeiten damit, Waffenlieferung gutzuheißen. Als Sohn eines Wehrmachtsoldaten, der der Luftwaffe angehörte, fällt es mir schwer zu sagen, dass ich deutsche Panzer in der Ukraine sehen möchte. Das ist eine emotionale Grenze für mich. Vielleicht zeigt sich darin auch die Ambivalenz der Situation.
"Ich habe Schwierigkeiten damit, Waffenlieferung gutzuheißen."
Wie gestaltet sich derzeit der Kontakt der evangelischen Kirche zum Moskauer Patriarchat? Das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche unterstützt Präsident Putin. Die ukrainisch-orthodoxe Kirche sagte sich daraufhin von Moskau los.
Liebig: Es gibt verschiedene Kontaktlinien vonseiten des Protestantismus. Da ist zum einen der zentrale Kontakt vom Kirchenamt der EKD, angeführt von Auslandsbischöfin Petra Bosse-Huber. Der Rat der EKD muss diesen Kontakt in Person der Auslandsbischöfin weiterhin aufrechterhalten. Momentan herrscht jedoch Stille.
Ein weiterer Kanal ist der Petersburger Dialog, dem Sie als Vertreter der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) angehören. Das Forum widmet sich seit 2001 den deutsch-russischen Beziehungen. Inzwischen hat sich die Mitgliederversammlung für eine Auflösung des Dialogs ausgesprochen. Wie kann es weitergehen?
Liebig: Bei aller Wertschätzung unserer bisherigen russischen Gesprächspartner muss ich leider mit großem Bedauern feststellen, dass sie entweder gar nichts zum Krieg in der Ukraine sagen oder die offizielle Linie des Patriarchats mit Vehemenz vertreten. Dann ist es schwierig, miteinander zu sprechen.
Die Mitgliederversammlung des Petersburger Dialogs war sich aber einig, den zivilgesellschaftlichen Kontakt mit Russland auf unterschiedlichen Ebenen neu aufzubauen. Dazu gehört auch, bestehende Kontakte mit inzwischen verbotenen russischen Organisationen wie Memorial wieder aufleben zu lassen. Wir werden als Kirchen versuchen, Kontakte unterhalb des Patriarchats, sei es auf akademischer Ebene oder im Austausch von Promovenden, voranzutreiben. Ich bin gespannt, ob das erlaubt wird.
"Wir werden als Kirchen versuchen, Kontakte unterhalb des Patriarchats, sei es auf akademischer Ebene oder im Austausch von Promovenden, voranzutreiben."
Besteht aus Ihrer Sicht denn Hoffnung auf eine Erneuerung des Petersburger Dialogs als Gesprächskanal?
Liebig: Das glaube ich nicht. Die Initiatoren Gerhard Schröder und Wladimir Putin sowie die handelnden Personen sind für dieses Thema "verbrannt". Der Gedanke hinter dem Petersburger Dialog war gut, aber die Personen selbst haben die Sache ruiniert. Und damit auch das Format in diesem Setting.
Viele pragmatische Dinge haben sich hingegen bewährt. Es war eine gute Idee, dass es Arbeitsgruppen gab, die sich etwa mit Journalismus, Wirtschaft oder Gesundheitswesen und auch kirchlichen Themen beschäftigten. Das könnte man fortsetzen. Nicht selten fehlt uns aber ein Gegenüber. Das ist ein großes Problem.