Rund 100 Schokoladen-Weihnachtsmänner stehen im Büro von Pastorin Martina Zepke-Lemcke in der Lübecker Justizvollzugsanstalt (JVA). Zusammen mit Tabak, Feuerzeugen, Kaffeepulver und Mandarinen packt die Gefängnisseelsorgerin sie in Papiertüten mit weihnachtlichem Motiv. Kurz vor Heiligabend will die 59-Jährige die Tüten im Wert von je zehn Euro an besonders bedürftige Häftlinge verteilen, die keine Arbeit in der JVA haben und damit oft nur ein geringes Taschengeld beziehen. Für ihre Aktion erntet sie nicht nur Dankbarkeit, sondern auch Kritik.
"Einige Gefängnismitarbeitende sind nicht damit einverstanden, dass ich von Kirchensteuern Geschenke für Menschen kaufe, gerade wenn sie Frauen vergewaltigt oder Menschen getötet haben", sagt Zepke-Lemcke, die eine von insgesamt neun Gefängnisseelsorgern in der evangelischen Nordkirche ist. Sie versucht ihren Kritikern dann zu erklären, dass man einen Menschen nicht auf eine einzelne Tat reduzieren dürfe, sondern seine ganz Geschichte sehen müsse. Viele Gefangene seien zudem psychisch krank.
Ihr Motto ist es, mit ihnen ins Gespräch zu kommen, statt sie zu ignorieren und isolieren. Ansonsten könne es passieren, dass Menschen sich abgeschrieben fühlen und an Suizid denken, so die Theologin. Jesus habe sich schließlich auch um die Verlorenen und Abgeschriebenen gekümmert.
Seit dreieinhalb Jahren arbeitet Martina Zepke-Lemcke als Gefängnisseelsorgerin in der JVA. Ihr Arbeitsplatz ist ein Hochsicherheitsgefängnis mit etwa 500 Gefangenen und einer 1,5 Kilometer langen Mauer mit Stacheldraht. Zu ihrem Job gehört es, mit Gefangenen, deren Angehörigen und Bediensteten zu sprechen.
Mit ihrem katholischen Kollegen organisiert sie Konzerte für die Häftlinge, leitet Bibel- und Freizeitgruppen und feiert sonntags Gottesdienste. Am 11. Dezember kamen 28 Menschen zu ihren drei Gottesdiensten in die Kapelle im ersten Stock. Auch für Heiligabend, den zweiten Weihnachtstag und Neujahr sind Gottesdienste geplant, in denen die beiden Seelsorger auch neue Kalender an die Häftlinge verteilen wollen. Die Bilder von Bergen und Seen brächten ein bisschen Farbe in die Zelle, so die Pastorin. Außer dem Blick zum Himmel und ein paar schreienden Möwen hätten die Gefangenen kein Naturerlebnis.
Angst vor Angriffen durch die Häftlinge kennt Martina Zepke-Lemcke nicht. Vor ihrem Job im Gefängnis hat sie 26 Jahre lang in der Psychatrie-, Sucht- und Altenheimseelsorge des Landesvereins für innere Mission in Rickling (Kreis Segeberg) gearbeitet hat. Auch da sei ihr niemals etwas passiert. "Ich denke, es gilt als ungeschriebenes Gesetz im Gefängnis, dass man Pastoren nicht angreift", sagt sie.
Schließlich könne sie die Häftlinge oftmals unterstützen, ihren einsamen Alltag in der acht Quadratmeter kleinen Zelle mit einem Gespräch zu unterbrechen oder für die Inhaftierten wichtige Fragen zu klären. Und wenn ein Häftling aus der Strafhaft mal ungestört ein dringendes Telefonat mit seiner Familie führen möchte, sei das in ihrem Büro möglich.