Die einen nennen es Nächstenliebe, die anderen helfen, weil sich das gehört. So würde es vielleicht Horst Krause formulieren, der dies als ehemaliger Polizist ohnehin als seine Pflicht betrachtet. Und weil die Grenzen zwischen der Rolle und ihrem Darsteller fließend sind, kann es gut sein, dass der Schauspieler Horst Krause das genauso sieht. Deshalb ist die Filmfigur trotz ihres mitunter mürrischen Auftretens schon immer ein Sympathieträger gewesen, seit der Autor und Regisseur Bernd Böhlich den Polizeihauptmeister 1998 für den "Polizeiruf" aus Potsdam erfunden hat. 2007 hat der korpulente Motorradfahrer mit "Krauses Fest" seinen ersten eigenen Film bekommen; "Krauses Weihnacht" ist bereits der neunte. Die Geschichte, die Grimme-Preisträger Böhlich erzählt, mag nicht sonderlich aufregend klingen, und auch die Umsetzung wirkt betont schlicht, aber die Botschaft dieses Wintermärchens passt perfekt in die Vorweihnachtszeit.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Die Handlung beginnt auf einer Landstraße. Ein Mädchen ist aus dem Kinderheim ausgerissen. Krause nimmt das durchfrorene Kind kurzerhand mit nach Hause. Außer ihrem Namen sagt Tilla (Luca Marie Lenkewitz) erst mal nichts, aber dann stellt sich raus, dass sie ein typisches Mobbing-Opfer ist. Als Krause sie ins Heim zurückbringt, bekommt er gleich eine Kostprobe. Von den Jungs, die Tilla als "Specki" begrüßt haben, erfährt er, warum sie sich über sie lustig machen: weil sie gern vor dem Spiel singt, als würde sie für eine Talentshow üben. Am nächsten Tag holt Krause das Mädchen zum adventlichen Backen ab, und weil alle anderen auch mitwollen, wird das Wirtshaus von zwei Dutzend Kindern heimgesucht: Die einen tummeln sich in der Küche, die anderen im Stall, und zur Krönung schauen sich alle gemeinsam einen Film mit der Olsenbande an. Einer fühlt sich besonders wohl: Samuel (Phileas Heyblom) schließt umgehend Freundschaft mit Timo (Cai Cohrs), dem Sohn von Gasthofpächterin Paula (Pauline Knof), und unversehens entwickelt sich das ohnehin sehr episodisch strukturierte Drehbuch in eine gänzlich andere Richtung.
Mit dramaturgischem Geschick nutzt Böhlich sein Personal, um immer wieder neue Figuren ins Zentrum zu rücken. So landet die Handlung schließlich bei Samuels Mutter (Bianca Nawrath). Die junge Frau ist ein scheinbar hoffnungsloser Fall. Minderjährig schwanger geworden, alleinerziehend, trotzdem weiter Partys gefeiert, mehr schlecht als recht für den Lebensunterhalt gesorgt; oder, wie es Krause gewohnt prägnant formuliert: "zuviel Tralala." Kein Wunder, dass ihr Sohn im Heim gelandet ist und sich von ihr entfremdet hat. Nun will sie ihn zurückholen und verspricht, sich zu ändern; aber Samuel favorisiert den Gasthof als sein neues Zuhause. Am Schluss schließen sich getreu der Devise von Mutter Krause gleich mehrere Kreise: "Das Leben wie ein Mosaik; letzten Endes passt alles zusammen."
Der Kreis schließt sich auch für Horst Krause und seine Schwestern Elsa und Meta (Carmen-Maja Antoni, Angelika Böttiger): Die Reihe hat einst mit einem Weihnachtsfilm begonnen, und nun endet sie mit "Krauses Weihnacht". Das dürfte nicht zuletzt mit dem Alter des Hauptdarstellers zusammenhängen, immerhin wird Krause zwei Tage nach der Ausstrahlung des Films 81. Der RBB gibt allerdings eine andere Begründung an: "Die Reihe endet, weil wir in den neun Filmen schon viele große und kleine Fragen des Alltags und des Lebens in unserer Region erzählen konnten, sodass die Geschichte mit ‚Krauses Weihnacht’ im besten Sinne komplettiert ist." Das ist einerseits weise, sorgt andererseits aber für Wehmut, zumal Krause auf die besagten Fragen stets lebenskluge Antworten hatte. Zum märchenhaften Schluss stellt Timo fest, das Leben sei nicht immer leicht. "Aber schön", sagt Krause. Und fügt hinzu: "Von leicht war nie die Rede."
Das gilt sicher auch für die Dreharbeiten: Da ein Weihnachtsfilm ohne Schnee nur ein halbes Vergnügen ist, musste kräftig nachgeholfen werden, weshalb die Gegend rund um Schönhorst fast schon kitschig mit Puderzucker überzogen ist. Einige Schneebilder sind allerdings echt, weil sie im Winter zuvor "auf Vorrat" gedreht worden sind. Mit dem eingespielten Ensemble sowie den erfahrenen neuen Mitwirkenden dürfte Böhlich dagegen keine Probleme gehabt haben, weshalb sich zum Beispiel die buchstäblich stille Romanze zwischen Meta und dem von Christian Grashoff verkörperten Jäger Friedhelm getreu der Devise "Wer schweigt, streitet nicht" sehr subtil entwickelt. "Krauses Weihnacht" ist wie gewohnt ganz ohne Tralala inszeniert, doch dafür sind auch die drei Kinder gut geführt.