"Wilsberg"-Festival beim ZDF-Ableger: Neo zeigt heute gleich drei Krimis mit dem Privatdetektiv aus Münster. Den Auftakt macht "Münster-Leaks", eine Wiederholung aus dem Jahr 2017. Eine ansonsten nicht weiter der Rede werte frühere Episode ("Der Betreuer") hatte der Reihe ein großes Geschenk gemacht, von dem auch dieser Film profitiert: Die enorm talentierte Janina Fautz brachte als Patenkind von Kommissarin Springer (Rita Russek) derart viel frischen Wind in das eingespielte Ensemble, dass es viel zu schade gewesen wäre, ihre Mitwirkung auf ein einmaliges Gastspiel zu beschränken. Zum Glück haben die Verantwortlichen das Potenzial sowohl der Schauspielerin wie auch ihrer Rolle erkannt: Springer überredet Georg Wilsberg (Leonard Lansink), Merle als Praktikantin einzustellen; die Kommissarin denkt dabei natürlich ans Antiquariat, das Mädchen sieht sich eher als Nachwuchsdetektivin. Da sie im Rollstuhl sitzt, kommt sie für den Außendienst kaum in frage, aber das hindert sie nicht daran, pünktlich zum Finale am Schauplatz des Showdowns zu erscheinen.
Bis es soweit ist, erzählt "MünsterLeaks" (Buch: Markus. B. Altmeyer, Britta Burneleit) eine Geschichte von eindrucksvoller Komplexität. Sie beginnt mit einer Steuer-CD, die dem Finanzamt Münster angeboten wird. Die Quelle entpuppt sich als attraktive Blondine (Teresa Weißbach); Wilsbergs Freund Ekki Talkötter (Oliver Korittke) verfällt ihr prompt. Laura arbeitet für einen Finanzdienstleister, der das Schwarzgeld seiner betuchten Kunden in Steueroasen parkt. Derweil bekommt Wilsberg ausgerechnet von seinem Intimfeind Overbeck (Roland Jankowsky) einen Auftrag völlig anderer Art: Eine alte Frau hat im abgepackten Hackfleisch einen Finger entdeckt; dummerweise ist das Corpus Delicti von ihrer Bulldogge verspeist worden. Selbstverständlich sind die Steuerdaten und der Finger zwei Details desselben Falls, der gleich mehrere Skandale offenbart; es geht nicht nur um Steuerhinterziehung, sondern auch um Ausbeutung, Menschenhandel und Zwangsprostitution. Der einzige, der in der ganzen Angelegenheit eine saubere Weste zu haben scheint, ist Fleischkonzernbesitzer Lindemann (Stephan Luca); seine Keimphobie macht ihn zwar verdächtig, aber nur für die Zuschauer.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Es ist schon ein kleines Kunststück, dass der Film trotz seiner thematischen Bandbreite weder überfrachtet wirkt noch aufdringliche Botschaften versendet; beides liegt nicht zuletzt an dem spielerischen Tonfall, den das Buch anschlägt und den Thomas Kronthaler bei seiner ersten Arbeit für den ZDF-Dauerbrenner perfekt getroffen hat. Der Regisseur hatte zuvor einige sehenswerte Komödien für den Freitagsfilm im "Ersten" gedreht (unter anderem "2 Sturköpfe im Dreivierteltakt"); kein Wunder, dass die 56. "Wilsberg"-Episode wieder viel komischer war. Gerade die Dialoge machen großen Spaß; vor allem Merle liefert sich herzerwärmende Wortgefechte mit ihrem Arbeitgeber, den sie als ambitionierte Nachwuchsdetektivin mit Überwachungsgerätschaften der neuesten Generation versorgt. Ekki muss sich mit seinem opportunistischen Chef Grabowski (Vittorio Alfieri) rumärgern, und Overbeck schlüpft wieder in seine Lieblingsrolle als leicht unterbelichteter Chuck Norris von Münster ("Wer zur Hölle ist Adam Riese?"), der selbst in der Tiefgarage Sonnenbrille trägt ("It’s never too dark to be cool"). Als Leiter einer "Taskforce" mit der treffenden Bezeichnung "Shit happens" – Hundehaufen werden dank eines umfangreichen DNS-Abgleichs ihren Verursachern und somit deren Besitzern zugeordnet – bringt er immerhin den Fall ins Rollen, denn ohne die Kotkollekte hätte die Polizei die Sache mit dem Finger als Hirngespinst einer alten Frau abgetan. Amüsant ist auch die Soap-Anleihe, Wilsbergs Antiquariat zum Epizentrum der Handlung zu machen: Bis auf Alex (Ina Paule Klink), die sich gleich zu Beginn wegen eines Seminars aus dem Film verabschiedet, geben sich sämtliche Beteiligten ständig die Klinke des Ladens in die Hand.
Der Hintergrund der Handlung ist natürlich alles andere als komisch, zumal es neben der Besitzerin des Fingers noch weitere Todesfälle gibt; außerdem kann der gestresste Ekki, dem sein Freund einen Entspannungsurlaub in Bielefeld empfiehlt, im letzten Moment verhindern, dass Informantin Laura überfahren wird. Szenen wie diese inszeniert Kronthaler angemessen fesselnd, aber wer’s beim Krimi ansonsten lieber gemütlich mag, wird bestens bedient. Dass Laura ausgerechnet dem Finanzbeamten erklärt, wie Steuerparadiese funktionieren, damit auch die Zuschauer im Bilde sind, ist allerdings ein echter Fauxpas. Im Anschluss zeigt Neo die ebenfalls sehenswerte Episode "Morderney" (21.45 Uhr); der besondere Reiz des fröhlichen Ensemble-Ausflugs nach Norderney liegt in den Gastauftritten der "Friesland"-Mitwirkenden. Den Abschluss bildet um 23.15 Uhr "Alle Jahre wieder", aber der "Wilsberg"-Weihnachtsfilm will krampfhaft komisch sein und scheitert an den eigenen Maßstäben.