Das spricht nicht gerade für die Regie, doch die Ursache liegt vermutlich auch im Drehbuch: Es passiert schlicht nichts mehr. Natürlich ereignet sich noch allerlei, aber im Grunde hätten sich die zweiten 45 Minuten auch auf 15 reduzieren lassen.
Dabei beginnt der Film vielversprechend: Anwalt Weber (Hadi Khanjanpour) hat Besuch von seinem wichtigsten Klienten. Das Gespräch nimmt alsbald Formen einer Befragung an, die zu Zeiten der Inquisition als hochnotpeinlich bezeichnet worden wäre: Nino Agostini (Claudio Caiolo) packt zwar keine Folterinstrumente aus, aber das braucht er auch nicht; der Mann ist ein Mafioso, wie er im Buche steht, und offenkundig höchst unzufrieden mit der Arbeit des Advokaten. Als der Jurist Tags drauf erschossen aufgefunden wird, kann an der Urheberschaft dieses Mordes kein Zweifel bestehen: Wer für die Mafia arbeitet, hat nur die Wahl zwischen Loyalität und Tod.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Agostini mag die Tat nicht selbst begangen haben, hat sie aber garantiert in Auftrag gegeben. Zur gleichen Zeit feiern Friedhelm Fabian (Jan Georg Schütte mit verwegenem Toupet) und Gattin Veronika (Proschat Madani) ein gleichermaßen feuchtfröhliches wie melancholisches Abschiedsfest: Das Ehepaar wird nach Guatemala auswandern. Rechtsmediziner Boerne (Jan Josef Liefers) hält eine launige Rede, er ist den beiden seit den gemeinsamen Jugendjahren innig verbunden; Veronika ist immer noch seine große Liebe. Am nächsten Tag wird Fabian entführt, und Hauptkommissar Thiel (Axel Prahl) ahnt, dass es einen Zusammenhang mit dem Mord geben könnte: Boernes bester Freund war Vorstandsmitglied der örtlichen Anwaltskammer und hatte über Weber und dessen Partner Nowak (Hendrik Heutmann) zu befinden, als den beiden der Verlust ihrer Lizenz drohte. Steckt Agostini also auch hinter der Entführung?
Drehbuchautor Benjamin Hessler hat zuletzt einen ziemlich sehenswerten Beitrag zur ARD-Krimireihe "Harter Brocken" geschrieben: "Das Überlebenstraining" (2022) war ein cleverer Mix aus Thriller, Abenteuer und Humor. "Ein Freund, ein guter Freund" bietet ebenfalls eine Stunde lang gute Unterhaltung, aber dann geht dem Film die Geschichte aus. Auch handwerklich büßt der Krimi an Originalität ein: Zunächst sorgt der geteilte Bildschirm für optische Abwechslung, doch mit zunehmender Dauer wirkt das Stilmittel mehr und mehr wie eine Spielerei.
Der "Tatort" ist die dritte Regiearbeit von Janis Rebecca Rattenni; zuvor hat sie nach diversen Serienfolgen eine durchwachsene Episode für die ARD-Reihe "Kommissar Dupin ("Bretonische Idylle", 2022) sowie den ersten "Flensburg-Krimi" (2021) gedreht. Dieses Debüt zeichnete sich nicht zuletzt durch seine atmosphärische Vielfalt aus. Kameramann war in beiden Fällen Victor Voß, dessen Bildgestaltung dank des Muts zu knalligen Farben auch im "Tatort" bemerkenswert ist: giftgrün im Institut für Rechtsmedizin, tiefblau im Befragungsraum des Präsidiums; ansonsten dominieren vor allem herbstlich warme Farben. Im Gegensatz zum schließlich inflationär verwendeten Split-Screen-Verfahren hat der deutlich sparsamer eingesetzte Effekt, die Kamera um ihre Längsachse kreisen zu lassen, eine verblüffende Wirkung; unter anderem scheint sich auf diese Weise Fabians Gefängnis in eine unheilverkündende Rotation zu begeben. Die Liebe zum optischen Detail zeigt sich auch bei einem schönen Übergang von einem Autorad auf eine Schallplatte oder durch einen ausgefallenen Blickwinkel beim Holzhacken.
Amüsant wie stets sind die Szenen mit Prahl und Liefers, wobei gerade letzterer mitunter etwas übers Ziel hinausschießt; andererseits ist es einfach witzig, wie es Liefers gelingt, selbst aus schlichten Momenten wie der Gesichtserkennung durchs Smartphone oder der Rekonstruktion des Tathergangs Auftritte mit großer Geste zu machen. Für die gebürtige Italienerin Rattenni war es außerdem garantiert ein Fest, mit Agostinis Hilfe die Liebe ihrer Landsleute zum übertriebenen Kitsch zu parodieren.