Die Geschichten sind selten spektakulär, was sich meist auch in den Umsetzungen widerspiegelt. Das mag zwar dem Schauplatz angemessen sein, aber der SWR hat mit seiner preiswürdigen Serie "Höllgrund" bewiesen, dass der Schwarzwald keineswegs zwangsläufig für kriminalistische Schonkost stehen muss. Regisseurin des neunten Falls für Tobler und Berg (Eva Löbau, Hans-Jochen Wagner) war Franziska Schlatterer; schon ihre letzte Arbeit mit dem Duo ("Was wir erben", 2021) war eher bedächtig inszeniert. Das Drehbuch zu "Die Blicke der Anderen" ist von Bernd Lange, der auch den 2017 ausgestrahlten Freiburger Auftakt ("Goldbach") geschrieben hat.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Die Handlung ist erneut in einem überschaubaren Biotop angesiedelt: Sie trägt sich größtenteils in einer Vorortsiedlung zu. Die Einführung beginnt harmlos mit sommerlichen Impressionen und endet mit einem Schrei aus dem Off, als eine Mutter ahnt, dass ihrem Sohn Gerd etwas Furchtbares zugestoßen ist. Im Schlafzimmer liegt zwar keine Leiche, aber das blutbesudelte Ehebett lässt keine Zweifel an einer Gewalttat; der kleine Enkel ist ebenfalls verschwunden. Weil die meisten Morde, wie Krimifans wissen, Beziehungstaten sind, ist die Ehefrau die erste Verdächtige, zumal sich ihre Ausflüchte dank der Bilder aus einer Überwachungskamera an der Abbiegung zur Siedlung recht bald als Lüge entpuppen: Sandra Vogt (Lisa Hagmeister) hat die Nacht keineswegs daheim verbracht; wo sie stattdessen war, will sie aber nicht sagen.
Sehr viel mehr hat Lange, zuletzt unter anderem Chefautor der herausragenden ARD-Serie "Das Netz – Spiel am Abgrund", zunächst jedoch nicht zu bieten, selbst wenn sich schließlich rausstellt, dass Sandra eine Affäre hat; den Namen ihres verheirateten Geliebten gibt sie ebenfalls nicht preis. Als Täter käme noch Gerds früherer Kompagnon (Niels Bruno Schmidt) in frage, die beiden hatten eine heftige Auseinandersetzung über die Höhe der Abfindung. Es ging dabei um drei Millionen Euro; Menschen sind schon, wie Berg nüchtern festgestellt, wegen weitaus geringerer Summen ermordet worden. Da die Leichen von Mann und Sohn unauffindbar bleiben, tappt die Polizei komplett im Dunkeln.
Das eigentliche Thema des Films ist ohnehin ein anderes, wie der Titel andeutet: Aus Sicht des direkten Umfeldes besteht an der Schuld von Sandra kein Zweifel. Die Mutter des mutmaßlichen Mordopfers, Edeltraud (Ruth Wohlschlegel), hat ihre Schwiegertochter noch nie leiden können; für sie war es nur eine Frage der Zeit, bis Gerd seine Frau wieder "vom Hof jagen" würde. Sandra sei hier "nie richtig angekommen", sagt ihr Schwiegervater gegen Ende; er ist der einzige, der sich nicht das Maul über sie zerreißt. "Was die Leute so reden" wäre daher ein treffenderer Titel gewesen, denn auch die betagte ehemalige Grundschullehrerin (Margot Gödrös) im Haus nebenan, die alle Einheimischen kennt, weil sie einst in ihrer Klasse waren, findet keine freundlichen Worte für die Nachbarin, die nun mal "nicht von hier" sei; Sandra ist die einzige Erwachsene, die keinen Dialekt spricht. Dass die alte Frau Gentner minutiös notiert hat, wann es gegenüber in der Tatnacht laut wurde, ist jedoch nur bedingt hilfreich: Sie sei im Grunde blind und taub, stellt Franziska Tobler etwas respektlos fest. Und dann ist da noch der ältere Sohn (Sean Douglas) des Ehepaars, der von seinen Eltern bloß als "der Vater" und "die Mutter" spricht.
Nicht eine dieser Personen ist sympathisch, was den Krimi zu einer freudlosen Angelegenheit macht. Auch Schlatterers distanzierte Inszenierung hat zur Folge, dass niemand wirklich Anteilnahme weckt; der gemeuchelte Gatte (Daniel Lommatzsch) entpuppt sich in den Rückblenden als egozentrischer Choleriker, dem selbst die Witwe kaum eine Träne nachweint. Tobler und Berg erledigen ihre Arbeit routiniert und geduldig, wirken dadurch aber eher bürokratisch als empathisch, auch wenn Berg nicht versteht, warum Sandra den Namen ihres Geliebten nicht preisgibt. Erst später zeigt sich, dass das gar nichts geändert hätte. Tatwaffe, Motiv, Gelegenheit: Alles spricht gegen sie. Die unauffällige Bildgestaltung und die Dialoglastigkeit geben dem Film einen realitätsnahen und somit beinahe dokumentarischen Anstrich. Die polizeiliche Detailarbeit ist tatsächlich interessant, aber wirklich fesselnd ist der "Tatort" nie.