Dies ist die Quintessenz, auf die sich die achtteilige Dramedy-Serie "Vierwändeplus" bringen lässt. Die behandelten Themen sind zum Teil durchaus ernst, doch die Umsetzung ist vorwiegend heiter. Richtiger gesagt: soll heiter sein; das funktioniert nicht immer, denn manch’ ein Dialog ist allzu sehr auf Pointe gebürstet. Das gehört natürlich dazu, wenn’s lustig sein soll, zumal die vom ZDF ausdrücklich als Comedy etikettierten Geschichten ohnehin stark jenem Muster folgen, das hierzulande unter "Sitcom" verstanden wird: Die Handlung trägt sich größtenteils in den Gemeinschaftsräumen der WG zu, sämtliche Charaktere werden durch bestimmte Eigenschaften, Vorlieben und Marotten definiert.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Gleichzeitig hat sich das vierköpfige Drehbuchteam (Tali Barde, Marian Grönwoldt, Helena Lucas, Laura Rabea Tanneberger) jedoch an der klassischen Familienserie orientiert, was wiederum einen besonderen Reiz ausmacht, denn die "Framilie" ist betont divers: Eins der Paare ist schwarzweiß und hat dunkelhäutige Kinder, ein anderes ist homosexuell, eine Frau hat einen asiatischen Migrationshintergrund. Allerdings dauert es eine Weile, bis sich herauskristallisiert, wer hier mit wem liiert ist; wenn das geklärt ist, funktionieren die Folgen prompt besser. Keinerlei Zweifel kann dagegen an jenem Konflikt bestehen, der verschiedene Ereignisse überhaupt erst auslöst: Kaum eingezogen, eröffnet Caro (Birte Hanusrichter) ihrem Mann Martin (Alexander Prince Osei), dass sie sich von ihm trennen wird. Der Gatte will das nicht wahrhaben und handelt zwei Monate Galgenfrist aus, erst dann sollen die anderen informiert werden, schließlich ist das Paar mit seinen beiden Töchtern die Keimzelle der Gemeinschaft. Natürlich hofft Martin insgeheim, Caro in dieser Zeit umstimmen zu können, und sorgt unter anderem mit einer Sabotage im "Teichhaus" genannten Anbau dafür, dass sie die eigenen vier Wände erst mal nicht verlassen kann.
Rund um diesen roten Faden spinnen die knapp dreißig Minuten kurzen Folgen allerlei Begebenheiten, die jeweils mit den unverwechselbaren Merkmalen der handelnden Personen verknüpft sind: Die kleine Emma (Mary Amber Oseremen Tölle) missversteht den leidenschaftlichen Sex von Erik und Anna, die sich hingebungsvoll mit der Produktion von Nachwuchs beschäftigen, als unfreundlichen Akt, und weil das Kind ein bisschen speziell ist, verwickelt es Anna in ein Puppenspiel über häusliche Gewalt. Nicht minder aus der Art geschlagen ist die ältere Schwester Luisa (Nola Essam), die Gefälligkeiten gern mit kleinen Erpressungen verknüpft, fließend Chinesisch spricht und auch mal mit sinistren Handelspartnern einen düsteren Deal einfädelt. Erik (Moritz Vierboom) ist Holländer, lebt nach dem Motto "Wer kämpft, hat schon verloren" und läuft gern halbnackt durchs Haus, weshalb Mitbewohner Freddie (Eugen Bauder) bei der Gemeinschaftsversammlung das Thema "Elefant im Raum" zur Sprache bringt. Anna (Antonia Bill) will unbedingt ein Kind, aber Eriks Spermien sind ähnlich entspannt wie er selbst. Einige Dialoge lasen sich auf Papier vermutlich witziger, als sie nun tatsächlich klingen, aber andere sind durchaus und bissig und stellenweise recht makaber. Besonders finster ist ein Patchwork-Dreieck: Ärztin Bo (Kotti Yun), die sich ohnehin durch seltsame Vorlieben und einen ebensolchen Humor auszeichnet, möchte ihre Freundin Julia (Henrike Hahn) für sich allein haben. Deshalb tut sie alles, um die Gleichung 1 plus 1 gleich 3 zu korrigieren und Julias Sohn Gregor (Julien Neisius) loszuwerden. Der Teenager wiederum nervt alle anderen mit seiner Öko-Diktatur. Es haben ohnehin nicht immer alle Bock auf "Konsens-Nonsens", wie sich zeigt, als Gregor einen geheimen "Panikraum" entdeckt.
Einige Mitwirkende begehen mitunter den Fehler, komische Situationen auch komisch zu spielen; ein typisches Comedy-Missverständnis, das die Heiterkeit in der Regel jedoch keineswegs verdoppelt (Regie: Janosch Chávez-Kreft, Sophie Averkamp). Davon abgesehen macht es Spaß, dem Ensemble zuzuschauen, wobei gerade die beiden jüngsten Darstellerinnen trotz zum Teil schwieriger Dialoge sehr beeindrucken. Die Inszenierung wiederum ist vergleichsweise brav, auch die Musik ist für dieses Genre beinahe zu zurückhaltend. Um so mehr Freude bereiten viele Einfälle am Rande, etwa die Idee, die fehlende Badezimmertür durch einen Kleiderschrank ohne Rückwand zu ersetzen, oder ein Ausstattungsdetail wie ein Fisch an der Wand, der auf Knopfdruck "Don’t worry, be happy" anstimmt. Neo zeigt die Serie in Doppelfolgen immer dienstags, sie steht komplett in der ZDF-Mediathek.