Es geht um das Drei-Religionen-Kitahaus, das auf einem Kirchengelände in den nächsten beiden Jahren gebaut werden soll. Dagegen regt sich Widerstand bei den Anwohner:innen des Grundstücks, die die zentrale, etwas verwilderte Grünfläche mit vielen größeren Bäumen dort über die Jahre schätzen gelernt haben.
"Wir sind schockiert, die Grünfläche ist super wichtig", sagt Iris Noa. Die 42-Jährige ist Kopf einer Bürgerinitiative, die sich für den Erhalt der Bäume einsetzt – die für den Kita-Neubau fallen sollen. Quasi in letzter Minute, denn der Bauantrag ist bereits im Genehmigungsverfahren. Die Vorbereitungen sollen noch in diesem Jahr beginnen.
Das Konzept der Kita ist zukunftsweisend und bisher einmalig in Deutschland: Eine jüdische, eine muslimische und eine christliche Tagesstätte sollen dort unter einem Dach Platz finden. Die Einrichtungen arbeiten eigenständig in jeweils einem Stockwerk. Hinzu kommt ein Begegnungszentrum im Erdgeschoss, das dem Austausch und dem gemeinsamen Lernen dient und sich mit seinen Aktivitäten, einer Bibliothek und einem Café auch nach außen öffnen soll.
Der Neubau soll laut Planungen 8,2 Millionen Euro kosten - deutlich mehr als im Kitaausbauprogramm des Senats vorgesehen. Das liege unter anderem an besonderen Sicherungen wie einem 2,40 Meter hohen Zaun oder einer Eingangsschleuse, die für jüdische Einrichtungen leider nötig seien. Die Mehrkosten werden aus öffentlichen Zuwendungen, Stiftungsgeldern und privaten Spenden finanziert. Kirchensteuermittel werden dafür nicht verwendet.
Wichtig für Tiere und Mikroklima
Das Kita-Haus wird vom jüdischen Verein Masorti, dem Evangelischen Kirchenkreisverband und dem Deutschen Muslimischen Zentrum Berlin gemeinsam getragen. Die Stadt begrüßt und fördert das 2015 gestartete Leuchtturmprojekt, das 135 Kinder aufnehmen will. Laut einer aktuellen Bertelsmann-Studie werden in der Hauptstadt im nächsten Jahr 17.000 Kitaplätze fehlen - das Angebot ist also höchst willkommen.
Die Notwendigkeit, Betreuungsplätze für Kinder zu schaffen und der vorbildliche interreligiöse Ansatz des Hauses leuchten auch den Anwohner:innen durchaus ein. "Wir brauchen Kitas, aber der Standort sollte überdacht werden", findet Erik Zwikirsch von der Bürgerinitiative. Bisher sei der Kiez sehr ruhig. Die Menschen in den Mehrfamilienhäusern und Wohnanlagen lebten dort teilweise schon seit Jahrzehnten. Es gebe aber auch viele jüngere Leute und Familien.
Die Grünfläche der Markus-Kirchengemeinde wird derzeit - obwohl die Bäume nach Angaben des Kita-Projektteams als "nicht verkehrssicher" eingestuft sind - von einer Schule genutzt und ist für die Anwohner:innen nicht zugänglich. Dennoch sei sie wichtig als "optische Erholung und für das Mikroklima", betont Zwikirsch. Außerdem biete sie Zuflucht auch für bedrohte Tierarten. Er selbst habe dort mit einem Spezialgerät die Ultraschallwellen von jagenden Fledermäusen gemessen. Auf Instagram informiert die Bürgerinitiative über die dort lebenden Tiere.
25 Bäume sollen fallen
Damit wird es, so fürchten die Anwohner, vorbei sein, sobald die Bagger anrücken. 25 geschützte Bäume sollen laut Bauantrag gefällt werden. "Wir hatten mal durchgezählt – da wird kaum einer übrig bleiben", so Noa. "Wir fragen uns, wie Kirche eine solche Entscheidung in Zeiten des im Bezirk ausgerufenen Klimanotstands vertreten kann", schreiben die Anwohner in einer Stellungnahme. Da sie andererseits die Notwendigkeit des Klimaschutzes betone und selbst zur Teilnahme an Klimastreiks aufrufe, sei dies nicht nachvollziehbar.
"Wir können die Bedenken der Anwohner sehr gut verstehen", sagt die Sprecherin des Kita-Projektes, Anna Poeschel und benennt das Dilemma: "Klimaschutz ist uns ein sehr wichtiges Anliegen, aber wir sind eben auch gehalten, Kitaplätze zu schaffen." Ein geeignetes Grundstück für das Kitahaus zu finden, hat sich als sehr schwierig erwiesen. "Zum normalen Verkehrswert könnten wir uns das in Berlin gar nicht leisten", betont Poeschel. Die Planer hätten verschiedene Standorte "aus dem kirchlichen Kontext" daraufhin geprüft, ob das Konzept dort umzusetzen sei.
Umweltamt muss Stellung nehmen
Unter anderem eine Option im Stadtteil Moabit, wo auch eine Bestandsimmobilie hätte genutzt werden können. Letztlich seien die Alternativen aber nicht mit den Ansprüchen des Projekts vereinbar gewesen. Die Markus-Gemeinde habe auf ihrem Grundstück an der Marchlewskistraße schließlich einen "Pachtvertrag zu realisierbaren Konditionen" geboten. "Das Projekt fasziniert mich schon seit langem. Und es ist toll, wenn unsere Gemeinde einen Beitrag leisten kann", schreibt Pfarrer Matthias Lohenner in einer Projektvorstellung.
Derzeit liegt der Bauantrag noch beim Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg und wird vom Umwelt- und Naturschutzamt begutachtet. Grundsätzlich müsse die Naturschutzbehörde Baumfällungen aber zustimmen, "wenn das Bauvorhaben planungsrechtlich zulässig ist und sonst nicht oder nur unter wesentlichen Beschränkungen verwirklicht werden kann", heißt es dort.
Menschen fühlen sich schlecht informiert
"Wir werden allen Auflagen nachkommen, Ersatzpflanzungen leisten und Tiere umsiedeln", betont Poeschel. Selbst wenn ein Großteil der Bäume dem Neubau weichen müsse, werde das Grün von dem 1200 Quadratmeter großen Grundstück nicht verschwinden. "Die Kinder sollen auch Natur erleben", so Poeschel. Auch was die Außenflächen angehe, gebe es genaue Vorgaben. Die sollen zusammen mit einem neu errichteten Dachgarten auf dem Kita-Haus erfüllt werden.
Über das Projekt und seinen den Fortgang fühlen sich die Anwohner bislang schlecht informiert. "Wir haben erst vor zwei Monaten überhaupt erfahren, was geplant ist", berichtet Iris Noa. Ein erster Infoabend im Januar konnte nur digital stattfinden und lief so an manchen einfach vorbei. "Viele älteren Leute hier haben eben kein Internet", so Noa. Zu einem Treffen der Nachbar:innen im September kamen dann etwa 30 Personen. "Insgesamt haben wir etwa 60 Adressen", sagt Noa. "Es sind schon viele betroffen."
Für den 2. November haben das Team des Drei-Religionen-Kitahauses und die Markus-Gemeinde nun zu einem weiteren Informationsabend eingeladen. Hier erhoffen sich die Anwohner:innen Antworten auf ihre Fragen. "Wie sieht es mit dem Baumgutachten, dem Artenschutz und seiner Umsetzung aus?", sagt Zwikirsch und bringt auch einen anderen Bauplatz ins Spiel, der die Bäume verschonen könnte - auf dem bereits versiegelten Hof der Markus-Gemeinde oder am Rand des Grundstücks, wo das repräsentative Kitagebäude überdies besser zur Geltung käme. "Wir sind aufgeschlossen für gute Ideen", sagt Projektsprecherin Poeschel. Man sei bereit, Unannehmlichkeiten während der Bauzeit aufzufangen und sich auch künftig für eine Verbesserung der Lebensqualität im Kiez einzusetzen – etwa durch die Schaffung einer Tempo-30-Zone.